Für den Moment aufgeladen

■ Harald Fricke sprach mit Frank Wagner, Kurator bei der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin, über David Wojnarowicz

taz: Wie kam es zu dem Gedenkraum, den Du für den in diesem Jahr verstorbenen David Wojnarowicz eingerichtet hast?

Frank Wagner: David Wojnarowicz war ein Künstlerkollege von mir, mit dem ich mehrmals zusammengearbeitet habe, den ich als Privatperson schätzte und dessen Tod mich erschüttert hat. Dann halte ich ihn für einen wichtigen Künstler, der eine ganz bestimmte Kunstform im New York der achtziger Jahre realisiert hat, indem er sich von der glatten und geschliffenen Galerie-Kultur abwandte. Und ganz besonders wichtig ist er als Mensch, der sich fast schon als Sprachrohr für Aids-Aktivismus eingesetzt hat, der das Ausgegrenztsein als Aidskranker und Schwuler immer mehr als Metapher einer Welt genommen hat, die nicht demokratisch ist.

In Amerika stand seine Arbeit im Kontext der Gruppe Act Up. Was passiert, wenn man diese Informationskunst nach Deutschland holt, die hier nicht den Charakter von „Gegenöffentlichkeit“ besitzt?

In Amerika wird alles in – benutzen wir einmal unser deutsches Wort dafür – Bürgerinitiativen organisiert. Der Community-Gedanke überwiegt auch bei den Künsten, die in den letzten drei Jahren verstärkt durch Zensurmaßnahmen ausgegrenzt werden sollten. Doch Künstler und Galerien haben sich das nicht gefallen lassen. Die Galerien haben gesagt: Wir sind privat, hier kommt keine Polizei rein, wir stellen aus, was wir wollen. Diese Handlungsnotwendigkeit hat man in Deutschland nicht. Ich habe Wojnarowicz kennengelernt und mich an ihn gewendet, weil es hier für die „Vollbild“- Ausstellung so wenig Resonanz gab. Das Thema Aids wird bei uns viel privater abgehandelt, man ist ganz anders ins soziale System eingebunden. In Amerika landest du auf der Straße.

Warum läßt sich Kunst hierzulande kaum auf AIDS-Probleme ein?

Die amerikanischen Künstler beschäftigen sich mit Tagespolitik, aber in Europa gilt Kunst als etwas Universelles. Der Künstler ist eigentlich immer noch der „Asoziale“, der der Gesellschaft gegenübersteht, beobachtet und dann allgemeingültige, ewige Ansichten darlegt. Die Gefahr liegt natürlich darin, daß aussagekräftige Arbeiten wie die zum Clinton-Wahlkampf nach zwei Jahren in der Mottenkiste landen. Aber darum scheren sich die amerikanischen Künstler nicht.

Vielleicht ist das die Schwierigkeit einer Ausstellung wie „Getting to kNOw you“. Der Schock, der die meisten Betrachter trifft, ist der Gedanke, daß das alles nach nichts aussieht, aber trotzdem der neue Kunstverstand aus den USA sein soll: billiges Material, kurzfristig zusammengeschustert und für den Moment aufgeladen. Politische Statements, die an die Grenzen zum Kalauer stoßen. Das ist gerade das Konzept, um Radikalität zu beweisen.

Kann man nicht konkret mit Wojnarowicz sagen, daß der Glaube an die Ewigkeit verlorengeht, wenn die zu erwartende Lebensspanne auf zwei, drei Jahre hinausläuft? Popkultur funktioniert angesichts dieses Wissens um Vergänglichkeit besser, was die Aktivitäten von Madonna oder Elton John bestätigen.

Kunst wollte jahrzehntelang nicht populär sein, sondern nur einen kleinen inneren Zirkel bedienen. Man sollte den Spieß umdrehen: Warum kann man in Literatur, Musik oder Film auf Tagesereignisse reagieren, nicht aber in der Kunst? Warum wird das künstlerische Schaffen nicht für eine Aussage genutzt, die man später womöglich revidieren kann?

Für Amerika bringt das im übrigen auch Schwierigkeiten mit sich: Jesse Helms sagt etwas, und alle reagieren nur, da verselbständigt sich die Struktur der Handlungszusammenhänge.

Act Up stellt nicht Handlung dar, sondern fordert zum Handeln auf. Bei „Getting to kNOw you“ ist dies Handeln an Sexualität und Gewalt gekoppelt.

Aber das läuft auf der Darstellungsebene ab. Wenn Judith Weinperson ihre Vergrößerung einer Vagina zeigt, dann geht es nicht um die Darstellung von Sexualität, sondern um die damit verbundene Metapher, für die Sexualität steht. Es wird gezeigt, wie etwas Allgemeines wie das weibliche Geschlecht so groß aufgeblasen werden muß, um die Unmäßigkeit der ganzen Sache vorzuführen. Auf der anderen Seite löst dieses Zeichen so ein großes Tohuwabohu über Zensur aus, weil es um das Zeigen geht.

Wie können Betrachter mit einem Wandel umgehen, wo der Körper nicht mehr marginal, sondern im Zentrum berührt wird?

Aber der Künstler geht doch auch ganz privat vor. Er stellt aus, was ihn teilweise an sich selbst interessiert.

Dahinter steht auch eine andere Auffassung von Gewalt und Aggression. Wojnarowicz spricht im Video von Sex, den er notfalls mit dem Gewehr verteidigt. Ist dieser Kampf um den Körper aus der Ohnmacht entstanden?

Einerseits ist es sicher das begrenzte Leben und die Verzweiflung darüber, daß die Leute um einen herum sterben. Dann gibt es noch den Staat, der dem Ganzen gleichgültig gegenübersteht oder aber eingreift. Homosexualität ist in weiten Teilen Amerikas heute noch strafbar. Die Aggression bleibt allerdings verbal. Es ist in erster Linie eine Entgegnung, die Frage, wie lange sich der Druck durch die Gesellschaft noch aushalten läßt, und die Entscheidung, einen Gegendruck herzustellen.

Die symbolische Gewalt als Metapher der Hilflosigkeit?

Indem Wojnarowicz in seinen Performances schreit, zeigt er seine Verletzlichkeit. Er ist verletzt worden, aber er läßt es sich nicht bieten und wirft diesen Angriff zurück. Es macht außerdem deutlich, daß Privatheit gar nicht mehr existiert. Alles ist dem öffentlichen Diskurs über Aids ausgeliefert. Letztendlich sind es Aufforderungen zu sagen: Laßt mich in Ruhe, laßt mich mein Leben führen.

Liegt darin nicht die Gefahr, daß sich die Handlung selbst wiederum aushöhlt, zum Zeichen wird?

Ich denke, man muß die Sachen trotzdem zeigen, auch wenn man der Gefahr nicht entgeht, daß eine Abstumpfung entstehen kann. Alle Künstler haben andererseits noch immer eine Verantwortlichkeit im Umgang mit Bildern. Trotz der extremen Auseinandersetzung wird versucht, die Würde zu wahren. Die besseren Künstler setzen sehr kalkuliert drastisches Material ein und wissen genau, wie weit sie gehen können.

Frank Wagner, geb.1958, Ausstellungsmacher in Berlin u.a. von Cady Noland und Felix Gonzales- Torres, außerdem „VOLLBILD AIDS - Eine Kunstausstellung über Leben und Sterben“ und „Schwarze Kunst - Konzepte zu Politik und Identität“. „David Wojnarowicz - Ein Gedenkraum“, vom 7.-30.1.1993 in den Kunst- Werken, Auguststr.69, Berlin- Mitte.