: In den Reigen der Stimulanzien aufgenommen
■ „Infektiös“: Eine Aids-Ausstellung im Schwulen Museum, Berlin
Etwa 50 Kondome, mit irgend etwas gefüllt, das aussieht wie weiße Farbe, baumeln im Eingangsbereich an Fäden von der Decke. Die linke Wand des schmalen Eingangs zum Schwulen Museums in Berlin ist mit Safer-Sex-Plakaten tapeziert, die rechte mit Zeitungsartikeln über Aids aus der „Heteropresse“. Dieses Stichwort des Künstlers Erich Stark stellt nicht nur den einzigen Außenbezug der Ausstellung „Infektiös“ her, sondern bleibt der einzige – harmlose – Angriff überhaupt. Nicht einmal Genugtuung ist im Spiel, wenn Stark sich darüber freut, daß Heterosexuelle durch Aids endlich mit Homosexualität konfrontiert würden. „Integration“ heißt bezeichnenderweise seine Installation.
Von der Deutschen Aidshilfe unterstützt, haben Manfred Baumgardt und Wolfgang Theis die zwei weiß getünchten Räume des kleinen Museums von insgesamt 27 Künstlern prall zum Thema „Kunst und Alltag – Leben mit Aids“ bestücken lassen. Etliche von ihnen sind HIV-positiv oder aidskrank. Einige sind bereits gestorben. Die gewählten Genres reichen vom Ölgemälde bis zur kindlich anmutenden Bastelei. Im großen und ganzen ist es verblüffend festzustellen, wie sehr die Künstler mit sich selbst beschäftigt sind, wie privat und letztlich versöhnlich sie mit Krankheit, Tod und Sex umgehen: fast als spüre man eine gewisse Zufriedenheit, mit den Formen des Bekennens oder der Verstellung nun – endlich, nach Jahrzehnten – zurechtzukommen. Wenn in dieser Ausstellung der gewiß falsche Eindruck entsteht, daß Schwule in Deutschland augenblicklich keine ernst zu nehmenden Gegner hätten, dann liegt das an eben dieser Sicherheit der Form. So lange haben sie im Wohnzimmer ihre verbotenen Gefühle geprüft und befragt, daß Homosexuelle jetzt, da Aids die Menschen jenseits ihrer sexueller Identitäten plötzlich einander seltsam gleichmacht, als erste ihre Sterbezimmer öffentlich machen können – in Deutschland sogar mehr als anderswo. An Zensur scheint keiner der bei „Infektiös“ Beteiligten auch nur einen Gedanken zu verwenden.
Die einzige Frau unter den Künstlern, Annie Leibovitz, ist zugleich der einzige internationale Star der Show. Sie hat ihren deutschen Freund Alf Bold im Krankenhaus in mildem Licht schwarz- weiß fotografiert, seine abgemagerten Arme hat er hinter dem Kopf verschränkt, die Augen in die Kamera gerichtet. Portraitfotografien vertreten in der Ausstellung die Position der Trauer. Im Vergleich mit den Namensschildern und Fotos, die Hinterbliebene von an Aids gestorbenen Freunden an einem Wandstück befestigt haben, verkörpert die empathische Distanz von Leibovitz so etwas wie den Mittelweg. Die einen wählten „Schnappschüsse“ aus glücklichen Zeiten, andere schonungslose Fotografien des Freundes im entstellenden Endstadium der Krankheit.
Die schockierendste Arbeit der Ausstellung verwendet das abstruse Souvenir einer Operation. Ein vom Kaposi-Syndrom befallenes Stück seiner eigenen Haut hat Jürgen Baldiga in eine Glaskugel gegossen und auf einem kitschigen Sockel plaziert. Wer das fingerkuppengroße, lederne, behaarte, schwärzlich gefleckte tote Fleisch betrachten will, muß ein buntes Podest besteigen, während das bronzene Imitat von Michelangelos David auf einen herabschaut. Baldiga bedient sich „katholischer“ Blasphemie und Obszönität, wie überhaupt ein Teil der Schwulenästhetik sich schon lange aus den schrillen Bildern des Katholizismus speist (Madonnenkult, Rosen, Kerzen). Aber Baldiga tut es nicht mit dem Galgenhumor wie in derselben Ausstellung etwa Napoleon Seyfahrt. Seine Geste bleibt gezielt krude und kämpferisch.
Das wird auch durch die Tatsache deutlich, daß Baldiga trotz Aids nicht auf die Darstellung von „unsafem“ Sex verzichtet. Er fotografiert eine anale Penetration ohne Gummi: für viele Schwule inzwischen ein Tabu. Insbesondere die Deutsche Aidshilfe steht für sicheren, selbstverantwortlich („protestantisch“) praktizierten Sex. Um das zu propagieren, scheut sie sich nicht, Pornos herstellen zu lassen mit dem Ziel, Kondome in den Reigen der Stimulanzien aufzunehmen: ein politischer Salto, über den Adorno sich gefreut hätte.
Interessant auch, wie das Terrain direkter Darstellung von Sex gegen die kommerzielle Pornographie gesichert wird, die, in kleinteiligen Collagen entrückt, gebannt zu sein scheint.
In der Mitte des ersten Ausstellungsraumes haben Theis und Baumgardt eine „Klappe“ mauern lassen; vielleicht durch Kabakovs documenta-Klo inspiriert. Augenzwinkernd ist draußen der Hinweis angebracht, man dürfe „nur allein“ eintreten. Drinnen läuft ein Videoverschnitt aus „unsafen“ Hardpornos und den erwähnten „safen“ Pornos der Deutschen Aidshilfe. „Infektiös“ behandelt ästhetische und pädagogische Anliegen vollkommen gleichberechtigt, und gerade darin liegt das Wagnis der Show. Sie ist eben nicht nur sexually correct. Exhibition und Resignation, Camp und Verzweiflung sollen einander nicht besiegen. Ina Hartwig
„Infektiös – Kunst und Alltag, Leben mit Aids“. Bis zum 31. Januar 1993 im Schwulen Museum in Berlin, Mehringdamm 61, 2. Hof, 3. Etage. Mi.–So. 14–18 Uhr, Sa. 17 Uhr Führung. Tel. 030/6931172
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