„An irgendwas klammern sich doch alle“

■ Shirley, 15, Gymnasiastin, will in der evangelischen Kirche fürs Leben üben

taz: Was findet eine 15jährige heute an der Kirche?

Shirley: Die Kirche sagt, wie man friedlich zusammenleben soll. Und in der Kirche wird das auch praktiziert.

Wie denn?

Ich glaube, wenn die Leute zur Kirche gehen, haben sie den Willen, ein bißchen zu sein wie Jesus. Wenn man den Frieden drinnen übt, kann man versuchen, es draußen zu leben.

Bist du regelmäßig in der Gemeinde?

Ich geh' schon öfter in den Gottesdienst. Während der zwei Jahre Konfirmantenunterricht war ich viel in der Gemeinde. Die Gruppe war ganz toll. Da hab' ich verstanden, wozu Kirche eigentlich da ist: um fürs Leben zu üben. Eine richtige Jugendgruppe gibt es bei uns leider nicht.

Fürs Leben üben? Ist die Kirche denn nicht ganz weit weg von der Realität?

Es ist der Versuch, nach einem Ideal zu leben. Daß es Frieden gibt und alle gleichberechtigt sind.

Wie wichtig ist dir die Gruppe?

Man lebt ja nicht alleine auf der Welt. Damit man das Zusammenleben lernt, ist das Wichtigste eine Gruppe. Es muß ja keine kirchliche sein. Aber Gott ist dabei wichtig. Ich glaube, daß es immer derselbe Gott ist, auch bei den Muslimen und den Buddhisten.

Haben deine Eltern mit Kirche zu tun? Bist du religiös erzogen?

Mein Vater ist nicht so religiös, meine Mutter schon. Sie hat mich auch früher mit in den Gottesdienst genommen. Zu Hause hatte ich eine Kinderbibel und war auch in einem konfessionellen Kindergarten. Allerdings in einem katholischen. Da haben wir gesungen und sind auch regelmäßig zur Messe gegangen.

Hast du das Bedürfnis, dich abzusetzen von Autoritäten?

Ja, aber nicht in kirchlicher Hinsicht.

Ist sie für dich keine Autorität?

Nein, irgendwie nicht.

Gibt es für dich einen Widerspruch zwischen der Amtskirche und der Religion?

Wenn so etwas passiert wie Hexenverbrennungen, ist das für mich nicht mehr Kirche. Das waren schlechte und skrupellose Menschen, die die Kirche mißbrauchten. Es gibt immer Menschen, die eine gute Sache mißbrauchen. Ich bin schon kritisch, aber ich identifiziere mich nicht mit diesen üblen Sachen, dann würde ich ja einen Komplex kriegen.

Fühlst du dich als Mädchen in der männlichen Kirche untergebuttert?

Nein, das war vielleicht früher so. Aber heute nicht mehr.

Gibt es etwas, womit du dich in der heutigen Kirche nicht identifizieren kannst?

Fällt mir nichts ein. Eigentlich hab' ich eher das Gefühl, daß die Kirche heutzutage nicht mehr so aktuell ist und weggedrängt wird. Sie hat doch ziemlich wenig zu sagen, kaum einer nimmt sie ernst.

Warum machst du das denn?

Damit das, was in der Bibel steht, realisiert wird. Daß zum Beispiel die Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, wieder dazugehören. Daß den Armen geholfen wird; daß alle friedlich zusammenleben.

Kommst du dir eigentlich altmodisch vor?

Manchmal hab' ich das Gefühl, daß es altmodisch geworden ist, an irgend etwas zu glauben, auch an so was Wichtiges wie den Frieden.

Glaubst du, daß du die Kirche zum Festhalten brauchst?

Die Leute, die nicht in die Kirche gehen, klammern sich dann an andere Sachen. An ihre HiFi-Anlage oder ihren Mercedes. An irgend etwas klammern sich die Menschen immer. Dann ist es ja egal, woran ich mich klammer'.