Der kleine Unterschied und seine großen Folgen

■ Deutsche Skiflieger steigen zur Vierschanzen-Tournee auf lange Ski um

Berlin (dpa/adn/taz) – Schon dreimal hat Jens Weißflog die traditionsreiche Tournee gewonnen, zuletzt vor zwei Jahren. Diesmal sieht der Olympiasieger von Sarajevo 1984 und Weltmeister von 1989 keine Chance. Der Flieger steckt pünktlich zu Beginn der am Mittwoch in Oberstdorf beginnenden 41.Vierschanzen-Tournee im Tief. „Ich wäre schon heilfroh, wenn ich auf den vier Schanzen wenigstens unter die ersten Fünfzehn käme“, sagt der Mann aus Oberwiesenthal, der nach dem schlechten Auftritt beim Weltcupspringen in Ruhpolding zum Weiterüben sofort nach Hause fuhr.

Jens Weißflog führt seine Schwierigkeiten auf technische Probleme beim Absprung zurück. „Am V-Stil liegt es nicht, auch nicht an meiner relativ geringen Anlaufgeschwindigkeit. Ich war früher auch nicht schnell und bin doch weit geflogen. Es sind alte Fehler. Meistens springe ich zu früh ab.“ Kleiner Trost: der 1991 überragende Finne Toni Nieminen springt aus dem gleichen Grunde seiner Glanzform hinterher.

Co-Bundestrainer Wolfgang Steiert allerdings siedelt Weißflogs Problem in höheren Körperregionen an: „Das Problem bei Jens liegt im Kopf. Er setzt sich zu sehr unter Druck“, glaubt Steiert an eine mentale Bremse beim 28jährigen. Beim Lehrgang hat der Co- Trainer versucht, Weißflogs Erfolgsdruck zu vermindern. Er solle nicht nur „an die Plätze eins bis drei“ denken. Leicht gesagt angesichts der Tatsache, daß Weißflogs Sponsoren die Prämien in erster Linie leistungsbezogen auszahlen.

Für Geld muß also geflogen werden, und zwar weit. So weit etwa wie die im Weltcup bisher so erfolgreichen Franzosen und Norweger. Das deutsche Team schlich los, um deren Geheimnis zu lüften. Die Spionage hatte Erfolg: die Länge der Ski, so die Erkenntnis, macht den Unterschied.

Also her mit den langen Brettern, seit heute üben Christof Duffner, Dieter Thoma und Jens Weißflog mit den Sondergrößen. Duffner steigt auf 2,60 Meter lange Ski um (bisher 2,57 m), Thoma und Weißflog springen auf 2,52 Meter (bisher 2,50 m) langen Brettern.

„Die Springer mit extrem langen Ski gewinnen im letzten Drittel des Flugs noch einmal ein Polster und fliegen weiter. Deshalb steigen auch wir um“, begründete Bundestrainer Rudi Tusch das Experiment. Sein Co-Trainer Wolfgang Steiert konnte die neuen Ski rechtzeitig zum Tournee-Start bei den Skifirmen ordern. „Nun werden wir versuchen anzugreifen. Wir wollen in Oberstdorf zwei Springer in die Weltcup-Ränge bringen.“

Für Jens Weißflog steht wenige Wochen vor den Weltmeisterschaften in Falun der Favorit fest: „Werner Rathmayr springt in einer Superform, ist für mich derzeit eindeutig die Nummer eins. Er geht als Weltcup-Spitzenreiter mit zwei Siegen und drei zweiten Plätzen an den Start“, lobte der Oberwiesenthaler den neun Jahre jüngeren Österreicher. Ob Rathmayr der große Wurf gelingen kann, alle vier Tournee-Konkurrenzen zwischen Oberstdorf und Bischofshofen zu gewinnen, bezweifelt selbst Weißflog. „Das hat vergangenes Jahr nicht einmal Nieminen gepackt.“

Favoriten der 41.Springer- Tournee sind neben Rathmayr sein Landsmann und Olympiazweiter Martin Höllwarth. Olympiasieger Ernst Vettori konnte sich in letzter Sekunde für Oberstdorf qualifizieren. Auch die Norweger, die sich unter ihrem aus Schweden zurückgekehrten Trainer Trond Jöran Pedersen enorm verbessert haben, die Franzosen, die wagemutigen Japaner sowie die Schweizer Stefan Zünd und Martin Trunz (gewann das 81.Weihnachtsspringen in St.Moritz) sind Anwärter auf den Sieg.

Springer aus 20 Ländern wurden für die Tournee gemeldet, deren Organisatoren mit einem Superpreisgeld winken: 142.860 Mark sind für den „König der Lüfte“ ausgesetzt, der alle vier Wettbewerbe in Oberstdorf (Mittwoch), Garmisch-Partenkirchen (1.Januar), Innsbruck (3.Januar) und Bischofshofen (6.Januar) gewinnt. Dies hat in 40 Jahren bisher noch keiner geschafft.