Im Fadenkreuz der Wohnungsfahnder

Eine Fahndungsabteilung im Frankfurter Wohnungsamt arbeitet erfolgreich gegen Zweckentfremdung/ Bußgelderkasse gut gefüllt, 40.000 Quadratmeter „zurückgeführt“  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Was Wohnungssuchenden in Frankfurt inzwischen so alles einfällt, um an die ebenso begehrte wie rare Bleibe zu kommen, ist verblüffend. Sie treten zur Besichtigung mit pompösen Leihwagen an, drucken Visitenkarten mit honorigen Berufsbezeichnungen, fälschen Arbeitsverträge zur Gehaltsobergrenze hin oder lassen gleich den Chef anrufen. Die liebsten Mieter sind den Maklern in der Main-Metropole inzwischen ohnehin die großen Firmen. Das führt zu kuriosen Blüten beim Handel mit der Ware Dach über dem Kopf.

Ein Vermieter, des Wuchers bezichtigt, verwahrte sich dagegen energisch. Sein japanischer Mieter hatte die Wohnung trotz Gefallen zunächst nicht nehmen wollen. Sie sei ihm, sagte der Mann aus dem Lande der aufgehenden Sonne überzeugend, einfach viel zu billig. Seine Firma zahle sie schließlich direkt vom Geschäftskonto. Und es sei ihm der Buchhaltung gegenüber nur mit peinlichstem Gesichtsverlust möglich, ein Domizil zu beziehen, das weniger koste als das seiner Untergebenen. Die japanische Handelsniederlassung bestätigte diese Gepflogenheit, und der Mann bekam den gewünschten Aufschlag.

Solche Sorgen sind den 1991 im Frankfurter Wohnungsamt registrierten 12.467 Sozialwohnungsberechtigten völlig fremd. Sie müssen bei einer Vermittlung von über 3.000 Wohnungen pro Jahr noch immer rund vier Jahre warten. Die Spekulation mit Grund und Boden blüht.

Im großen und ganzen, so die Frankfurter Erfahrungen der letzten Jahre, machen weniger „die ganz großen“ Spekulanten die krummen Touren. Die sind, weiß man im Wohnungsamt, „vorsichtiger geworden“. Abzocken wollen jetzt eher die mittleren und kleineren Grundstücks- und Hausbesitzer. Und denen versucht eine Frankfurter Novität auf die Schliche zu kommen. Seit Anfang 1990 ist sie links und rechts des Mains unterwegs – vor allem in den „einschlägigen Stadtteilen“. Die Fahnder des Wohnungsamtes gehen Hinweisen nach, laufen von Haus zu Haus ganze Straßenzüge und Stadtteile ab. Manchmal ist es das Firmenschild, manchmal der Anruf des Nachbarn, der sie auf die Spur von leerstehendem oder zweckentfremdetem Wohnraum bringt.

Seit die Abteilung „Zweckentfremdung“ vom rot-grünen Magistrat auf insgesamt 40 Personen kräftig aufgestockt wurde, meldet sie fortlaufend Erfolge. 1,7 Millionen Mark Bußgeld kassierte sie allein 1991 für den Stadtsäckel und den sozialen Wohnungsbau ab. Das aber ist nicht das wichtigste: 40.000 Quadratmeter Wohnraum wurden im selben Jahr für ihren eigentlichen Zweck, das Wohnen in der Stadt, wieder „zurückgewonnen“. Ärzte mußten ihre Praxen verlassen, Anwälte mitsamt ihren Kanzleien umziehen und Architekten eine neue Bleibe suchen. Das macht das Amt bei den „Freiberuflern“ und Hausbesitzern nicht gerade beliebt.

Dabei ist Abteilungsleiter Harry Koskowski eigentlich ein ganz freundlicher Mensch. Das signalisieren nicht nur der gutbestückte Pfeifenständer und das Geduldsspiel auf dem Schreibtisch seines Büros im sechsten Stock an der Adickesallee mit Blick über die Dächer der Stadt, unter denen er fündig zu werden hofft. Er würde sich, sagt er, immer viel lieber „gütlich einigen“. Davor heißt es für ihn und seine Mitarbeiter, auf die fast detektivische Spurensuche und Feldarbeit vor Ort zu gehen. Zuerst einmal gilt es, die inzwischen rund 2.000 aufgelaufenen Hinweise aus der Bevölkerung zu sichten und zu bewerten: „An manchen ist nichts dran.“ Bei dem Rest muß sortiert werden nach der Größe des Wohnraums, der juristischen Erfolgsaussicht, dem baulichen Zustand und der Wohnlage. Gewerbliche Nutzer von billigem und gut erhaltenem Wohnraum geraten bevorzugt ins Visier der Fahnder: „Da werden wir meist nicht mit offenen Armen empfangen.“ Und Gewohnheitsrecht gilt auch nicht. Ein „ganz schlechtes Argument“ sei es, verrät Koskowski, wenn der überraschte Freischaffende zum Beispiel vorbringe, daß schließlich schon sein Vater die Wohnung als Werkstatt oder Büro genutzt habe. Denn: Die Höhe des Bußgeldes richtet sich nach der Dauer der Zweckentfremdung und wird danach ausgerechnet, welchen wirtschaftlichen Nutzen der Delinquent im Lauf der Jahre durch die Differenz zur Gewerbemiete daraus gezogen hat – je länger, um so teurer.

Ob eine Anwaltskanzlei einst Wohnraum gewesen ist, läßt sich nach dem „Vorcheck“ durch Augenschein von außen und Rücksprache mit der Bauaufsicht meist herausfinden. Hinein in das Corpus delicti kommen die Wohnungsfahnder oft nur mit einem Durchsuchungsbeschluß und in Begleitung der Polizei. Der Rest ist Routine und Amtsweg. Koskowski: „Meist sieht es drinnen sogar noch ganz wohnlich aus.“ Die ehemaligen Küchen und Bäder sind schnell auszumachen. Eine Bestandsaufnahme der Inneneinrichtung belegt den Büro-Charakter. Da stellt sich mancher vergeblich auf die Hinterfüße. Ein Anwalt behauptete in seinem Widerspruch, in der Behörde arbeiteten nur „Halbwilde“, die nicht imstande gewesen seien, seine Designermöbel von profanen Aktenschränken zu unterscheiden.

Insgesamt aber sei der zweckentfremdenden Klientel in Frankfurt im Lauf der letzten Jahre klargeworden, daß das Amt nicht mit sich spaßen läßt. Die zahlreichen Einsprüche haben abgenommen. Sie gewähren bis zur gerichtlichen Entscheidung ohnehin nur rund ein halbes Jahr Aufschub. Das gesteht ihnen die Behörde auch bei gütlicher Einigung „ohne Zwang und mit geringem Bußgeld“ als Auszugsfrist zu. Wer erwischt werde, ist Koskowskis Erfahrung, „reagiert heute eher fatalistisch“.

Was aber tun, wenn im Stadtteil Bornheim plötzlich „ein ganzes Haus verschwunden“ ist? Die durch ein Abbruchunternehmen geschaffenen Fakten der Baulücke kamen den neubauwilligen Grundstücksbesitzer teuer zu stehen. Nach einer Durchsuchung bei ihm, bei der Abbruchfirma und beim Architekten mußte er nicht nur das Höchstbußgeld von 20.000 Mark zahlen, sondern zusätzlich noch einmal 120.000 Mark für den wirtschaftlichen Gewinn, der ihm daraus erwuchs, daß er ein begehrtes leeres statt eines weniger attraktiven bebauten Grundstücks anzubieten hatte. Solche Mangelware verspricht nämlich in Frankfurt mit seinem knappen Grund und Boden eine erkleckliche Rendite. Den Architekten traf es, stellte sich dabei heraus, doppelt: Er hatte sein Büro in der ehemaligen Wohnung seiner Mutter eingerichtet.

Der Grenzbereich zwischen Wohnen und Arbeiten im Computerzeitalter ist inzwischen auch von einigen Gerichten definiert. Es genügt nicht, so ein Oberlandesgerichtsurteil, einfach eine Bettcouch ins Büro zu stellen. Das Berliner Kammergericht erläuterte, daß in den Räumen auch noch eine „mehrtägige Krankenpflege“ möglich sein müsse. Und das geht nicht, wenn gleich neben der Bettcouch die Sekretärin sitzt. Das mußte auch ein Journalist leidvoll erfahren, dessen Wohnung sich zur Agentur ausgewachsen hatte. Noch härter traf das Auge der Kontrolleure jenen Frankfurter Rechtsanwalt, der zur Zeit der Frankfurter Hausbesetzungen in den 70er Jahren als „der Experte in Mietsachen“ auf seiten der Besetzer galt. Er räumte seine Kanzlei im noblen Westend, in die er eigentlich zu einer Kollegin „auch nur zugezogen war“ – ausnahmsweise widerspruchslos.

Aber der Tricks gibt es viele. Manche versuchen es ganz pfiffig und schließen für leerstehenden Wohnraum Scheinmietverträge ab, zum Beispiel mit einem Gastwirt von außerhalb, der in Frankfurt irgendwann eine Kneipe aufmachen will, dafür aber wiederum erst noch einen Pächter sucht, der dann in die Wohnung ziehen soll.

Auch Scheinrenovierungen sind beliebt. Denn da, wo renoviert wird, kann niemand einziehen. Wann die Renovierung zum bußgeldpflichtigen Leerstand wird, entscheidet die Behörde. Das führte in einem Fall zur Beschlagnahme eines ganzen Hauses. Anderswo rücken die Beamten auch der Verwandtschaft auf den Leib. Ein hausbesitzender Vater, der behauptete, seine heiratswillige Tochter wolle in die leere Wohnung einziehen, erlebte eine unangenehme Überraschung. Die befragte Tochter wußte von den Heiratsplänen gar nichts und sagte das auch frei heraus. Koskowski: „Wir entscheiden dabei auch nach unserer Lebenserfahrung.“

Darüber allerdings, ob die Beweislast bei der Behörde oder beim Wohnungsinhaber liegt, gibt es unterschiedliche Gerichtsurteile. Wenn die Glaubwürdigkeit von gar zu abstrusen Angaben berechtigt angezweifelt werden könne, so das Hessische Verwaltungsgericht, könne die Beweislast auch umgekehrt werden. Sie liegt dann beim Wohnungsinhaber.

Das Fazit der Abteilung Zweckentfremdung ist vorerst positiv. Allein 1991 gab es Zweckentfremdungshinweise auf 967 Wohneinheiten, davon 60 Prozent aus der Bevölkerung. Dem aber, so das Amt, standen wiederum 880 Anträge auf die Genehmigung zur Zweckentfremdung gegenüber. Nur: Die sind in Frankfurt nicht mehr so leicht zu bekommen. Wer eine Genehmigung wolle, müsse dafür an anderer Stelle den entsprechenden Ersatzwohnraum schaffen.

Und eines soll in Frankfurt bestimmt nicht mehr passieren, so Koskowski: „In anderen Kommunen freut sich der Kämmerer, wenn er die Genehmigungen gegen eine Ablöse verkaufen kann. Das machen wir nicht!“ Außerdem, findet er, sei es für die Stadt wesentlich billiger, preiswerten Altbau „zurückzuholen“, als selber zu bauen.

Daß die Wohnungsnot in Frankfurt die Kommunalwahl im März mitentscheiden wird, wissen alle Parteien. Eine Umfrage des Ipos-Institutes ist eindeutig. 38 Prozent der Frankfurter nannten Mieten und Wohnungen als das größte Problem in der Stadt, für nur 18 Prozent waren es die „Asylanten“. Auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt könnten schließlich nicht einmal mehr doppelt verdienende Lehrerehepaare konkurrieren, geschweige denn Flüchtlinge.

Zudem sind die meisten Makler und Spekulanten ebenso wie die Hausbesitzer unüberhörbar einheimisch. Einer machte der Mutter, die mit ihrem kleinen Kind auf dem Arm zur Wohnungsbesichtigung gekommen war, dies mit unmißverständlichem Zungenschlag klar: „Dadermit rühre Se misch aber aach schon gar net. Waas isch, ob Se sisch des Boppelsche net ausgeliehe habbe?“