Wunder durch Währungsreform?

In der westdeutschen „Stunde Null“ sehen viele Experten ein mögliches Vorbild für die Staaten Osteuropas  ■ Von Hermannus Pfeiffer

An einem regnerischen Sonntag warteten Millionen Westdeutsche in langen Schlangen auf ihr „Kopfgeld“ von 40 D-Mark. Das war am 20. Juni 1948. Mit der Währungsreform begann, nach der herrschenden Legende, der Aufstieg des bald Bundesrepublik genannten Landes zu einer führenden Wirtschaftsmacht. Heute stellen die Staaten Osteuropas, allen voran Rußland, ähnliche ökonomische Tollhäuser dar wie das damalige Nachkriegsdeutschland. Von einer rigorosen Währungskur in Osteuropa versprechen sich daher viele West-Experten einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Die wirtschaftliche Lage ist in den meisten osteuropäischen Staaten nicht gerade rosig. Relativ gut steht noch das reformerprobte Ungarn da: Das Land hofft für das kommende Jahr erstmals in der nach-sozialistischen Ära auf ein bescheidenes Wirtschaftswachstum; der Forint gilt als stabil, und die unreglementierte Konvertibilität (=Umtauschbarkeit in fremde Währungen) zeichnet sich am Horizont ab. Derweil stieg die Arbeitslosigkeit im Nachbarland Bulgarien auf dreizehn Prozent, und die dortigen Preise werden am Ende dieses Jahres um etwa siebzig Prozent geklettert sein. Wurde 1989 noch eine D-Mark gegen eine Lewa eingetauscht, muß man heute dafür sechzehn Lewa auf den Banktresen legen. Schlimmer noch geht es in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu: Rußland erlebt gegenwärtig, so Ex-Präsident Michael Gorbatschow im Gleichklang mit dem statistischen Zentralamt, den Zusammenbruch seiner Industrie. Rund zwanzig Millionen Menschen rätseln vergeblich über die Frage, woher sie das Geld für ihre Ernährung nehmen sollen. Zusätzlich gebärt die Kleinstaaterei eine nahezu entsprechende Anzahl neuer Währungen.

Die Neugestaltung einer Währung erfolgt bestenfalls immer dann, wenn das Geld einer Volkswirtschaft seine Funktion nicht mehr erfüllt und die Menschen es nicht mehr als Zahlungsmittel, Recheneinheit und Wert-Aufbewahrungsmittel akzeptieren. Eine funktionierende Geldordnung (=Währung) ist ein notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung. Worin dieser Erfolg auch bestehen mag – allein eine Währungsreform bringt keine Ökonomie auf Erfolgskurs. Daß die Deutsche Mark nach anfänglichem Gehoppel noch ein Erfolg wurde, ist vornehmlich den speziellen Rahmenbedingungen zu verdanken. Doch darauf können die osteuropäischen Staaten nicht zählen. In Westdeutschland war die ökonomische Struktur weitgehend intakt, die Produktionskapazitäten hatten immer noch die Dimension des letzten Vorkriegsjahres. Der Marshallplan stellte Investitionen zur Modernisierung von Industrie und Gewerbe sicher. Die große Auslandsnachfrage ließ nach einer kurzen Krisenperiode 1949/50 den Außenhandel erheblich ansteigen. Hinzu kam der politische Goodwill der kapitalistischen Welt gegenüber dem neuen Staat an der äußersten Grenze des Systems.

Gerecht war sie nicht, die Währungsreform in der westdeutschen Trizone. Ob Groß oder Klein, jeder konnte damals 40 Deutsche Mark zum Kurs von 1:1 umtauschen, einen Monat später gab es weitere 20 Mark. Dieses Kopfgeld bot bald den Ansatzpunkt für die Geschichte von den gleichen Startchancen für jeden Mann und jede Frau. Aber aus 100 angesparten Reichsmark wurden letztlich neue 6,50 Mark – was nicht nur bei den Kleinsparern schlechte Laune verursachte. Immerhin, die West-Zonis hielten nun eine einigermaßen solide Währung in Händen, in die auch Gewerbe und Handel genügend Vertrauen setzte. Über Nacht füllten sich die Schaufenster mit all den kulinarischen Köstlichkeiten, die dem gemeinen Volk nur noch vom Hörensagen bekannt waren. Daß ebenso für Pelzmäntel und Automobile hinreichende Nachfrage verblieb, auch dafür sorgte die Währungsreform: Sachwerte und Aktien blieben von ihr unberührt, und die Schulden der Wirtschaft wurden auf ein Zehntel gekürzt.

An ihrem Beginn jedoch verzauberte das „Wundermittel“ Währungsreform kaum jemanden. Die Freigabe der meisten Preise bewirkte, in Verbindung mit der immensen Nachfrage, erhebliche Preissteigerungen. Die Zahl der Arbeitslosen wuchs bis zum Jahreswechsel auf fast eine Million, bis 1950 sogar auf eineinhalb Millionen an. Bereits wenige Monate nach der Währungsreform traten Arbeiter und Angestellte gegen die Wirtschaftspolitik Ludwig Erhards in einen eintägigen Generalstreik. Ausgetüftelt worden waren die Währungspläne allerdings innerhalb der US-Militäradministration. Nebenbei besiegelten die West-Alliierten damit die deutsche Teilung. Drei Tage nach dem Währungs-Streich führte die Sowjetunion eine eigene Ostzonen- Währung ein, die „Tapetenmark“: Da keine neuen Banknoten vorlagen, wurde das alte Geld überklebt und gestempelt.

Die Verschiedenartigkeit der ökonomischen Ausgangslagen in Osteuropa verlangt dagegen nach differenzierten Antworten. Die Binnenwirkung einer Währungsreform ist das eine, die Außenwirkung das andere, weiß auch der „Beauftragte des Bundeskanzlers für die Wirtschaftsberatung in der Russischen Föderation“, der frühere Kartellamtspräsident Wolfgang Kartte. Gerne würde mancher Ost-Berater dessen Credo ignorieren und seinem Gastland irgend etwas aufdrängen und überstülpen – zum Beispiel eine baldige freie Konvertibilität der Währung. Der unreglementierte Tausch des Geldes in Devisen und zurück garantiere die Einbindung in die Weltmärkte, so wird argumentiert.

Doch genau das bildet die eigentliche Crux einer Währungsreform. Die verfrühte Einführung einer konvertierbaren Währung bringt angesichts schwacher Wirtschaftskraft einen Wechselkurs mit sich, der bei der turmhoch überlegenen internationalen Weltmarktkonkurrenz die heimische Industrie gnadenlos ins Hintertreffen geraten läßt. Ein solcher Wechselkurs verführe die West-Investoren zur Produktion daheim und zum Verkauf vor Ort, so betonen Unternehmensberater überzeugend. Als wäre es des Unglücks nicht genug, schneidet eine verfehlte Währungsreform auch die früheren Geschäftsverbindungen in die Weichwährungsländer ab. Im Ergebnis brechen Industrie und Gewerbe erst recht zusammen – und jener geheimnisvollen Lust auf Cola, Mercedes und weiteren Wohlstandsklischees wird mittels extensivem Import entsprochen, solange die Ersparnisse und das Arbeitslosengeld reichen.

Ein gutes Beispiel für eine verfehlte Währungsreform bietet die Entwicklung in der ehemaligen DDR. Ungeschützt durch politisch regulierte Wechselkurse, zahlen die früheren Ost-Zonis trotz massiver westdeutscher Transferzahlungen die Zeche für die Währungsreform vom Sommer 1990. Geld und Währung vermögen aber noch eine weitere Funktion zu übernehmen: den bescheidenen Schutz gegenüber den drängenden Marktgesetzen. Übrigens gibt es außer den führenden Industrienationen kaum Staaten mit rundum frei wechselbaren Währungen. Auch in Westeuropa dauerte die Vollkonvertibilität lange: manche westliche Staaten führten sie erst 1989 ein.

Daß es nicht überall in Osteuropa so weit wie in Ostdeutschland kommen muß, dafür sorgt die wachsende Ausländerfeindlichkeit, die die westliche Hilfsbereitschaft geradezu stimuliert. „Die Migrationsbombe bedroht Westeuropa“, titelte bereits im Februar die Neue Zürcher Zeitung und machte dafür die weichen Währungen im Osten als Ursache ausfindig. Im Gefolge solcher Anregungen werden interessante, aber kaum realisierbare Vorschläge entwickelt. So will Steve Hanke, Professor an der Johns Hopkins University in Baltimore, die Zentralbanken durch „Currency Boards“ ersetzen. Unabhängig von der Politik sollen solche „Währungsräte“ ein Heißlaufen der Notenpressen verhindern und feste Wechselkurse garantieren. Eine Ecu-Zone in den osteuropäischen Reformländern schlägt demgegenüber Stefan Collignon vor, Direktor bei der Assoziation für die Europäische Währungsunion, einer Initiative von rund 250 europäischen Großunternehmen.

An einer Währungsreform werden die meisten osteuropäischen Staaten aber wohl nicht vorbeikommen. Ohne Vertrauen in Rubel, Zloty oder Krone werden die Bauern nichts auf dem Markt verkaufen, die Industrie keine Produktionsanreize erhalten und die Menschen auf den Tauschhandel verweisen. Wollen sich diese Länder unter dem Disziplinierungszwang der Märkte ihre dürftigen Möglichkeiten für eine autonome Wirtschaftspolitik erhalten, sollten sie lange Zeit auf eine zügellose Konvertibilität verzichten und auf politisch fixierte Wechselkurse setzen. Ansonsten bleibt ihnen nur die Hoffnung auf ein Wunder.