Zwischen den Rillen
: Dem Mischpult erzählt

■ Der Tribal Techno ist auf der Suche nach einem neuen Mantra: Sven Väth und Cosmic Baby haben zwei gefunden: ein ökologisches und ein interkulturelles

Pop bestand in der BRD schon immer aus Projekten, die sich dem „Brain“ widmeten. Geistermusik 1972/73: Ash Ra Tempel, Kraftwerk, Klaus Schulze oder Tangerine Dream und ihre strengen Elektronik-Konzepte; Aufklärungselektronik, die auf der Suche nach dem Western Mantra ihre eigene technische Reproduzierbarkeit entdeckte.

Die meisten Komponisten haben das Experiment entsprechend schnell auf Serienproduktion umgestellt. Echte Designerarbeit, mehr Mies van der Rohe und Schönberg als Rolling Stones. Hätten die Leute damals nicht alles als eine Art Droge genommen, vielleicht wäre ihnen die sublime Architektur der zerdehnten Klangbilder, deren ins unendliche ausufernde Statik aufgefallen. Statt dessen war synthetische Musik Beigabe zur halluzinierten Selbsterfahrung, ein akustisches Pendant zur Blubberlampe.

Trance und Tribal Techno tauen zwei Jahrzehnte danach die Errungenschaften deutscher Tiefenelektronik stückchenweise wieder auf. Die Operation geschieht, während der Beat ziemlich gleichmäßig etwas oberhalb bei 120 bpm (beats per minute) liegt. Das wohlvertraute Jugendzimmer für die „innere Reise“ hat sich zur Diskothek gemausert, in der man Gummi statt Jute trägt (weil das elastischere Material der Natur des menschlichen Körpers näherliegt), der Kopf ist trotzdem derselbe geblieben. Cosmic Baby etwa vertritt Öko- Utopien, und bei Sven Väth lugt der multikulturelle Input indischer Gebets- und Folklorepraktiken unter dem technischen Gewand hervor.

Um der grübelnd-depressiven Deutschstunde auszuweichen, ist allerdings zumindest Cosmic Baby Kompromisse mit dem Rock'n'Roll eingegangen. Zum Beispiel auf „Stellar Supreme“. Der Titelsong läuft im Wechsel von Strophe und Refrain ab, auf der Gitarre hat man die drei Akkorde ziemlich schnell gefunden (und die Vocals von „Blue Monday“ ließen sich notfalls auch noch hinzudenken). Die komplexe Welt der frühen Acid-Elektronik wird auf der ganzen Platte eher am Rande berührt: wenn bei „Liebe (Red)“ eine zarte Weihnachtsmelodie im Glöckchenklang vorbeihuscht und dazu Delphine stöhnen, oder „Eurovoodoo“ unentwegt an der Tonkurve eines Zweiklangs bohrt. Die zackige Programmierung birgt allerdings auch Probleme, so daß die sphärischeren Geschichten, die Meeresbrandung und das Raunen der Galaxie, oft nur als Ausklang angestückelt wurden. Grenzsituationen mit Folgen: Das elegische „Planet Earth (Blue)“ ergeht sich in leichtfertigen Seufzern am Klavier, O-Töne müssen draußen bleiben. Trance tarnt nämlich im Gegensatz zu Techno von innen.

Ebenfalls auf du und du mit Seelenklempnern und Türstehern befindet sich Sven Väth, der seinem Konzeptalbum zum Tanzen einen Reigen schwieriger Sinnvokabeln vorwegstellt: „Der wirren Bilder Hüter ergriffen ganz den Geist und schnell war er mit diesem wohl verbündet. Ich selbst war's der das Löchlein schloß durch das ich zu entschlüpfen hoffte.“

Wer nach diesen Linernotes den Soundtrack zur „Traumdeutung“ erwartet, liegt nicht ganz falsch. So eine Platte wäre vor 20 Jahren zielstrebig als Selbstfindungsreise beschrieben worden – einmal per Anhalter nach Indien und Haschisch schmuggelnd im Jumbo zurück. Abenteuer, die der Helden-DJ als Sitar-, Tabla- und Singsangsamples mit dem DAT-Recorder gespeichert und im Studio dem Mischpult erzählt hat.

Die Tontechniker fügen noch weitere Märchenwelten hinzu. Bei bis zu 13 Minuten langen Stücken wie „Ritual of Life“ wird der exotische Klangschwall von einem maschinengesteuerten Dauergroove im Zaun gehalten, der mit drei präzise europäisiert knarrenden Basstönen die ferne Welt entmystifiziert. Selbst wenn zum Schluß noch eine komplette Sambagruppe losrasselt, weiß der Discjockey, wann es an der Zeit ist, den Computer auszuschalten. Eine dermaßen schmissige Melodiekurve hätte Giorgio Moroder mit Leichtigkeit an Spielberg verkaufen können. Väth mag aber noch ganz andere Filmemacher: „Caravan of Emotions“ wird von einer schläfrigen Jazzschleife getragen, die auf diese wohlig befreiende Keith-Jarrett-Inbrust baut, zu der beim Filmverlag der Autoren um 77/78 gleich ein Dutzend Drehbücher über zerredete Beziehungskisten am Ende der Welt oder im Libanon eingegangen wären.

Aber damals wird der Frankfurter Väth aller Wahrscheinlichkeit noch Punkrocker gewesen sein und selten eines dieser Nach- Kommunen-Dramen im kommunalen Kino geguckt haben. Erst bei „Mellow Illusion“ kommt endlich die ganze Discomaschine in Gang – ohne Überbau, ohne Denkzwänge, einfach aus dem Rückenmark heraus. Dann stören nicht einmal die Ideen von treibenden Walen in der Dunkelheit. Harald Fricke

Cosmic Baby: Stellar Supreme (MFS, Deutsche Schallplatte) Sven Väth: Accident in Paradise (Wea)