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■ Short Stories from AmericaWozu Feinde, wenn man solche Freunde hat

Die Nazis haben es also geschafft. Und wie sie es geschafft haben: in lächerlichen zwei Jahren voll rassistischer Angriffe, 270 im Jahre 1990, in diesem Jahr 2.000, und die Skins können sich nicht nur größter Publikumsresonanz rühmen, sondern sie haben auch das letzte Wort. Sie dominieren die Exekutive. (Und die Legislative anscheinend auch.) Einen Oscar für diese Leistung, und noch einen der Regierung Kohl für ihre Nebenrolle.

Mit meinem Lob für Kohl meine ich nicht seine Unterstützung für die Skinheads, als er sich während der Tage von Leipzig, Rostock, Stralsund, Wetzlar, Moelln und Wuppertal im Hintergrund hielt. (In den meisten Fällen brachte die seriöse US- Presse Kritiken auf der Titelseite.) Und Kohl stand einfach auf der Bühne herum. Ich meine auch nicht seine Zurückhaltung in den dramatischsten Fällen von Brandstiftung, Angriffen, Anschlägen, Besitz gefährlicher Waffen, Anstachelung zu Gewalttaten, Schlägerei, Einschüchterung, Erpressung, Sachbeschädigung und Mord (16 Tote allein in diesem Jahr). Ich meine noch nicht einmal seine an Selbstverleugnung grenzende Unauffälligkeit, wenn betrunkene, bewaffnete Skins durch die Straßen toben oder nach „oi“-Konzerten Opfer suchen. Kohls schauspielerische Leistung ist die der Charge, die bescheiden aus dem Licht geht, wenn der Star seine Nahaufnahme kriegt. Das kann jede professionelle Regierung. Aber Kohl kann mehr. Er schlüpfte in die Garderobe des Stars und baute die Rolle weiter aus.

Die oben aufgezählten Handlungen sind in jeder zivilisierten Gesellschaft illegal; gegen sie geht jede gewählte Regierung vor. Hätte Kohl sich darauf beschränkt, so hätte man das als Alltag einer Demokratie bezeichnen können, fern der ungewöhnlichen Unterstützung, die er den Skins zukommen ließ. Tatsächlich spielte die Regierung in diesem Jahr auf so hohem Niveau, daß mancher sich fragt, warum sie in den siebziger Jahren so durchschnittlich war, als die Linke im Rampenlicht stand. Vielleicht hat es was mit der Geistesverwandtschaft der Darsteller zu tun. (Auf der Bühne spielt die Chemie immer eine große Rolle.) Ich glaube, Kohl mag einfach den neuen Hauptdarsteller.

Zumindest hat er sich nach Kräften bemüht, alle Welt davon zu überzeugen. Am 15. November zum Beispiel ließ er eine Nazi-Versammlung auf einem Friedhof in Halbe verbieten, wo viele Angehörige der Waffen-SS begraben sind. Laut The New York Times verbarrikadierten lokale Polizei und Bundesgrenzschutz die Straßen ins Dorf, durchsuchten ankommende Autos und blockierten den Bahnhof, um Ortsfremde am Aussteigen zu hindern. (Die Times und andere Zeitungen versagten sich nicht die Anspielung, daß die Akteure braune Hemden trugen, als das zum letzten Mal in Deutschland passierte.) Dazu sagt man doch wohl: Wer braucht schon Feinde, wenn er solche Freunde hat. Oder anders ausgedrückt: Wer braucht den Faschismus, wenn er eine solche Demokratie hat. Hätte die Regierung Polizei am Friedhofstor postiert (wie es bei jeder größeren Versammlung üblich wäre), alle Waffen beschlagnahmt und ihre Besitzer verhaftet, so wäre das eine ganz gewöhnliche demokratische Vorgehensweise gewesen – freie Gesellschaften haben etwas gegen Aufruhr und machen deutlich, daß sie das nicht dulden wollen. Aber Kohl tat etwas anderes. Er ließ die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit aller Bürger einschränken, ihre Freiheit vor willkürlichen Polizeidurchsuchungen. Im Namen des Kampfes gegen den Faschismus ließ er faschistische Maßnahmen zu. Goebbels hat das nicht geschafft. Ein Hoch auf Kohl. Die Fans der Kristallnacht können anstoßen.

Am 27. November ließ Kohl die neonazistische Gruppe Nationale Front verbieten und verschiedene andere Gruppen unter Überwachung stellen. „Die Regierung“, so berichtete The New York Times, „konnte die Gruppe nicht mit spezifischen Gewalttaten in Verbindung bringen“, fand jedoch Waffen und Munition in den Wohnungen von Mitgliedern. Hätte die Polizei die Waffen beschlagnahmt und ihre Besitzer verhaftet, hätte sie getan, was in Demokratien üblich ist: Bestraft werden Handlungen, nicht Gedanken. Aber Kohl verbot eine politische Organisation wegen ihrer Ideologie. Im Namen der Demokratie zerstört er ihre Basis.

Hätte Störkraft mehr verlangen können?

Am 28. November gab die Regierung die Bildung einer neuen Polizeieinheit für den Kampf gegen den Rechtsextremismus bekannt. Ebenfalls am 28. sagte Innenminister Rudolf Seiters zu Bild, er erwäge die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte – des Rechts auf öffentliche Rede, Wahl oder Kandidatur – für alle, die als gewalttätige Feinde der Gesellschaft eingestuft würden. Das nenne ich in den Wind pissen. Im Namen der Bewahrung der Freiheit beschneidet die Regierung die Freiheit in einer Weise, die die Nazis zu ihren Zwecken sehr wohl zu nutzen verstehen werden. Sobald sie die Regie übernommen haben, werden sie noch nicht einmal ein neues Drehbuch brauchen – das hat Kohl schon für sie geleistet. Und mit dem Segen der Antifaschisten überall.

Ein letztes Wort: Die Titelmusik zu diesem Stück ist der alte Schmachtfetzen von (Irving) Berlin „You forgot to remember“. Marcia Pally

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning

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