Die Würfel fielen schon im Vorfeld

Heute finden in Kenia Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt/ Physische Einschüchterung von Oppositionspolitikern/ Medienmonopol der Regierungspartei KANU  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Wenn heute rund 7,8 Millionen registrierte Wähler in Kenia dazu aufgerufen sind, ihr Parlament und – erstmals in der Geschichte des ostafrikanischen Landes – in direkter Wahl auch ihren Präsidenten zu bestimmen, dann stehen einige Ergebnisse bereits vorher fest. „KANU baut Führung weiter aus“: die erstaunliche Überschrift in einer Zeitung vor zwei Tagen beschreibt Tatsachen. 17 Parlamentssitze hatte die Regierungspartei bereits bei Abschluß des Nominierungsverfahrens kampflos gewonnen, weil kein Gegenkandidat aufgestellt worden war. Nachdem nun in buchstäblich letzter Minute etliche Bewerber der Opposition zur früheren Einheitspartei KANU übergelaufen sind, kann diese bereits jetzt sicher sein, wenigstens 20 der insgesamt 188 Abgeordneten zu stellen.

Die Entwicklung nährt den von Diplomaten bereits öffentlich geäußerten Verdacht, Kenias Regierung betreibe Wahlbetrug und Fälschung. Eine lokale Beobachtergruppe unter Vorsitz des geachteten Erzbischofs Manasses Kuria wirft KANU vor, Oppositionskandidaten mit Geld „gekauft“ zu haben.

Präsidentschaftskandidat Mwai Kibaki behauptet, die Regierung habe die Kassen öffentlicher Institutionen wie der Post, der Hafenbehörden und der Sozialversicherung geplündert, „um Kandidaten und Stimmen zu kaufen“ – eine Anschuldigung, die auch manche ausländischen Beobachter für berechtigt halten. „Wir gehen davon aus, daß die Prozedur am Wahltag selbst korrekt verläuft, daß aber die Würfel vorher auf einer Seite schwerer gemacht wurden, so daß sie nur dorthin fallen können“, fürchtet ein Diplomat.

Oppositionelle Bewerber um Parlamentssitze wurden mancherorts mit Einschüchterungsversuchen und sogar mit physischer Gewalt an der Abgabe ihrer Nominierungspapiere gehindert. Rundfunk und Fernsehen dienten als Wahlkampfinstrumente der Regierung – nicht einmal die versprochenen 90 Sekunden langen Werbespots konnten Oppositionsparteien in allen Fällen durchsetzen: ein Entwurf der „Demokratischen Partei“ (DP) wurde in zwölf Fassungen von TV-Vertretern wegen angeblicher „Volksverhetzung“ abgelehnt.

Der US-Botschafter in Kenia, Smith Hempstone, äußerte Zweifel daran, daß die Wahlen frei und fair verlaufen würden: mehr als eine Million Jungwähler hätten keine Chance bekommen, sich registrieren zu lassen. Ein Klima der Gewalt vergifte die politische Atmosphäre. Präsident Moi habe einige der Vorwürfe gar nicht bestritten, erzählte ein Diplomat resigniert. Der Staatschef habe aber beispielsweise die Behinderung bestimmter Oppositionskandidaten für völlig in Ordnung gehalten und es als „Provokation“ betrachtet, daß jemand in seinem Wahlkreis überhaupt gegen ihn habe antreten wollen.

Die Regierung von Präsident Daniel arap Moi und seine Einheitspartei KANU hatten der Einführung des Mehrparteiensystems vor einem Jahr nur unter massivem Druck westlicher Geberländer zugestimmt. Seither hat das Staatsoberhaupt kein Hehl daraus gemacht, daß er ein entschiedener Gegner der erzwungenen Reformen geblieben ist.

Fraglich ist allerdings, ob es einer Wahlfälschung überhaupt bedürfte, um Moi eine weitere Amtsperiode zu bescheren: der zerstrittenen Opposition ist es nicht gelungen, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Weder dem über 80jährigen Odinga Oginga, der einst unter Kenias erstem Staatschef Kenyatta Vizepräsident gewesen ist, noch Mwai Kibaki, einem langjährigen Kabinettsmitglied der Regierung Moi, werden Chancen eingeräumt, den Amtsinhaber im Alleingang zu besiegen. Bis vor kurzem galten sie dennoch als die immer noch aussichtsreichsten Bewerber um das höchste Staatsamt.

In den letzten Wochen allerdings ist es einem Politiker gelungen, die Stadien zu füllen, der wegen seines schlechten Gesundheitszustandes von vielen schon abgeschrieben worden war: Kenneth Matiba, früher Minister unter Moi und später wegen seines Eintretens für demokratische Reformen rund ein Jahr lang in politischer Haft, hat unauffällig aber stetig vor allem in ländlichen Gebieten um Anhänger geworben. Mittlerweile werden seine Kundgebungen von Tausenden besucht, und manche Beobachter schließen einen überraschenden Wahlsieg Matibas nicht mehr aus.

Als sicher gelten kann in jedem Fall, daß KANU im Parlament künftig gemeinsam mit Abgeordneten der wichtigsten Oppositionsparteien FORD-Kenya, FORD- Asili und DP sitzen wird. Welchen Einfluß das auf die Alltagspolitik haben wird, bleibt abzuwarten – inhaltliche Kontroversen haben den Wahlkampf in Kenia weit weniger bestimmt als Personaldebatten.

Die internationalen Beobachter der Wahlen stecken in der Zwickmühle: nach all den bereits geäußerten Vorwürfen können sie den Urnengang eigentlich auch dann nicht mehr als frei und fair bezeichnen, wenn die Wahlprozedur selbst nicht zu beanstanden ist. Sollten sie jedoch ein negatives Votum abgeben, dann vergrößert das die Gefahr, daß sich die ohnehin gespannte Atmosphäre in einer Explosion der Gewalt jener, die sich betrogen fühlen, entlädt.

Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem Dilemma entgangen: nachdem die kenianische Regierung überraschend nur eine weit geringere Zahl von Beobachtern als die von deutscher Seite vorgesehenen 30 akzeptieren wollte, hat die Bundesregierung in Bonn nun gänzlich auf die Entsendung einer Delegation verzichtet. Der deutsche Botschafter in Nairobi, Bernd Mützelburg, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die Wahlen in Sambia von 800 bis 1.000 Ausländern verfolgt worden seien. In Kenia werden nicht einmal 150 Beobachter aus dem Ausland erwartet – für mehr als 10.000 Wahllokale. Bettina Gaus