Bericht aus Bonn als Staatssache

■ Kommission denkt über Parlamentsfernsehen nach

Die dritte Novelle zur Ergänzung der Ausführungsbestimmungen zum Durchführungsgesetz könnte bald zum Renner während der besten Fernsehsendezeit avancieren. Die Kamera zeigt mit einem atemberaubendem Schwenk leere Stühle im zeitgemäß designten Rund einer Halle, von deren Kopfende aus ein monoton dozierender Referent wenigen Zuhörern mehrere Seiten bedruckten Papiers vorträgt.

So könnte man sich einen ganz normalen Programmtag des deutschen Parlamentsfernsehens vorstellen. Ein Fernsehen, über dessen Geburt in die Medienwelt derzeit die Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat auf ihrer Suche nach einer anderen, besseren Verfassung diskutiert. „Sehr, sehr ungelegte Eier“ seien das allerdings noch, erklärt ein Kommissionsreferent. Reges Interesse aller Parteien registrierte man dennoch nach ersten Sondierungsgesprächen, die bald fortgesetzt werden sollen.

Die Idee indes ist nicht neu. Kanzler-Opa Adenauer war mit seinem Regierungsfernsehen 1961 vom Bundesverfassunsgericht jäh gestoppt worden. Seitdem sind die Bonner vorsichtig geworden. Erst Bundestagspräsident Philipp Jenninger wagte wieder einen gedanklichen Vorstoß. Doch mit dem auf historischem Glatteis zu Schaden gekommenen CDU-Politiker verschwand vorerst auch die Idee eines Parlamentkanals in der Versenkung. Aus dieser holten sie die Experten für Parlamentsfragen der Verfassungskommission jetzt wieder hervor.

„Politik, wie sie in Bonn fabriziert wird“, würde der zuständige Unionsberichterstatter Norbert Geis gerne auf dem Bildschirm sehen. Für den CSU-Abgeordneten ist es ein Bedürfnis, „Politik nicht nur im Rahmen von Talkshows an den Mann zu bringen.“ Konkret hieße das: Debatten und Anhörungen bis zum Abwinken, Sitzungswochenmarathon zum Miterleben, die parlamentarische Langstrecke von Anfang bis Ende – Glasnost für die demokratische Bundesrepublik.

Erläuternde Kommentare sollen dabei dem Parteienkonsens zuliebe überhaupt nicht oder nur sehr sparsam Platz finden. Fühlte sich doch bei schon bestehenden Parlamentskanälen in den USA, Australien und Kanada durch einordnende Begleittexte schon so mancher auf den politischen Schlips getreten. Mit Politik pur möchten die Verfassungsvordenker den pluralistischen Fernsehzuschauer deshalb erfreuen.

Zu klären bleibt allerdings die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Denn Rundfunk ist und bleibt Ländersache. In Bonn wird deshalb die Einbeziehung der Landtage in das Debattenfernsehen erwogen – eine Art parlamentarischer Regionalfenster also. Schließlich ist man ja für die gewünschte Verfassungsänderung auch auf zwei Drittel der Länderstimmen angewiesen. Ergänzt oder geändert werden soll Artikel43, Absatz3 des Grundgesetzes. Bisher ist dort das Privileg auf ungehinderte Berichterstattung über die öffentlichen Sitzungen des Bundestages und seiner Ausschüsse festgeschrieben. Mit einer Ergänzung soll dem Bonner Parlament nun auch die Möglichkeit zur Öffentlichkeitsarbeit via Fernsehschirm eingeräumt werden.

Was die Klarsichtaktion den Haushalt des Bundestages kosten würde, ist noch völlig unklar. „Billig wird es nicht sein“, hat der christsoziale Geis allerdings schon erkannt. Die Parlamentarier denken deshalb auch über geeignete Einnahmequellen nach. Die Konstruktion als Pay-TV widerspräche der demokratischen Zielsetzung, Werbung dem Anspruch vermeintlich einflußfreier Politik. Bleiben die Fernsehsender als potentielle Abnehmer von Rohmaterial des Parlamentskanals. Vor allem öffentlich-rechtliche Anstalten könnten so den Einsatz von Technik und Personal in der Bonner Bannmeile reduzieren und einen Teil des Eingesparten in Form von Lizenzgebühren an das Bundestagsfernsehen abgeben, spekuliert man in der Verfassungskommission: „Ein klarer Fall von Synergie.“

Bleibt schließlich die leidige Frage nach der Akzeptanz eines solchen Fernsehangebots. Wer hat wirklich Lust, sich stundenlange Debatten und gähnende Regierungsmitglieder anzusehen? Norbert Geis glaubt an den missionarischen Sinn eines eigenen Fernsehkanals: „Politik pur erweckt vielleicht das Interesse der Bürger an politischer Teilhabe.“ Der eine oder andere, hofft der CSU-Parlamentarier, könnte ja „durch die Kanäle schalten und beim Bundestag hängen bleiben.“

Doch entschieden ist noch nichts. Zuerst soll das Thema ausdiskutiert und die „Praktikabilität des Vorhabens geprüft“ werden. Sollten die rechtlichen oder finanziellen Hürden schließlich zu hoch sein, will die Verfassungskommission die Idee wieder fallen lassen. „Bevor es ein totgeborenes Kind wird“, erklärt Geis bayrisch-plastisch, „lassen wir es sein.“ Christoph Heinzle