„Anständigkeit“ statt Haider

In Österreich sammeln sich Gegenkräfte zu dem „Anti-Ausländer-Volksbegehren“/ Promis gründen „SOS-Mitmensch“/ Kritik an sozialdemokratisch-konservativer Regierung  ■ Aus Wien Robert Misik

Die Lunte glimmt. Jörg Haider, der „Oberpyromane der Republik“, hat seinen Brandsatz in Form des Volksbegehrens „Österreich zuerst“ – besser bekannt als „Anti-Ausländer-Volksbegehren“ – erfolgreich gelegt. Ende Januar kann der xenophobe Teil der österreichischen Gesellschaft eine Woche lang seine Unterschrift unter die zwölf Punkte des Manifests von Haiders „Freiheitlicher Partei Österreichs“ (FPÖ) setzen, das in dem Satz gipfelt: „Österreich ist kein Einwanderungsland.“

Wie immer, wenn Gefahr im Verzug ist, trafen sich die politischen Feuerwehrleute in den Salons der Hauptstadt, um für die Kampagne gegen Haiders Verhetzungsplebiszit gerüstet zu sein. Der Poet und Barde André Heller öffnete die Pforten seiner Jugendstilvilla. Im Salon des Loos-Baus bastelte eine illustre Runde aus linken und liberalen KünstlerInnen, JournalistInnen und PolitikerInnen an einer knappen Erklärung. Eine „Allianz der Vernunft“ will nun den Kampf um Hirne und Herzen aufnehmen und einen politischen „Klimawechsel“ initiieren. Unter dem Titel „SOS-Mitmensch – Anständigkeit zuerst“ hat der Kampf gegen die Haiderei begonnen. Reformen an Schule, Arbeitsmarkt und Wohnungswesen sollen einer Ausgrenzung von ImmigrantInnen entegenwirken. Zusätzlich wird der Zugang zu einem fairen Verfahren für AsylbewerberInnen sowie ein Ende willkürlicher Abschiebungen gefordert. Es dürfe – eine unverhohlene Kritik an Regierungsmitgliedern und sozialdemokratischen (SPÖ) sowie konservativen (ÖVP) Funktionären – „keine Kompromisse mit der extremen Rechten“ geben.

Noch bevor die InitiatorInnen an die Öffentlichkeit traten, stellten sich erste Erfolge ein. In der sozialdemokratischen SPÖ waren die Verfechter einer humanitären Ausländerpolitik in den letzten Monaten ins Hintertreffen geraten. Den Ton gaben diejenigen an, die aus Angst vor Haiders Demagogie in vorauseilendem Gehorsam dessen Forderungen selbst umsetzten. Nun deutet sich in der SPÖ ein Kurswechsel an. Die Aufbruchstimmung, die die längst notwendige Initiative zur Folge hatte, stärkte jenen linksliberalen Regierungsmitgliedern den Rücken, die in den letzten Monaten in Lethargie verharrt waren. So nahmen SPÖ-Regierungsmitglieder, wie etwa der Unterrichtsminister und der Verkehrsminister, demonstrativ an den Beratungen von „SOS- Mitmensch“ teil.

Selbst aus der Parteihierarchie, in der die restriktiven Ausländerpolitiker – der Innenminister, die Generalsekretäre – bislang den Ton angaben, werden zunehmend Auseinandersetzungen vermeldet. So wird von einer Abendgesellschaft berichtet, in der Michael Haupt, der unumstrittene Anwärter auf den im Frühjahr neu zu wählenden Wiener Parteivorsitz, einen Parteimanager wegen der unklaren Linie in der Ausländerpolitik beschimpfte: „Ihr ruiniert die Partei. Wir müssen polarisieren zwischen Gut und Böse“.

Kein Wunder, daß „das Gute“ in Form von „SOS-Mitmensch“ immer mehr en vogue wird. Auch der populistische Wiener Bürgermeister Helmut Zilk findet die Initiative „großartig“. Bemerkenswert ist außerdem, daß beinahe alle gesellschaftlichen Institutionen Front gegen die Haider-Initiative machen. Selbst die katholische Kirchenhierarchie steht geschlossen auf der Seite der „Allianz der Vernunft“. Mit Konzerten, Demonstrationen und „tätiger Barmherzigkeit“ will die Promi-Initiative in den nächsten Monaten das andere Österreich mobilisieren. Seit Wochen schon inserieren alle, die populär sind im Lande Österreich, ihr „Nein“ zu Haiders Haßbegehren. Ein Auszug aus der Liste: SchriftstellerInnen Peter Handke und Elfried Jelinek, Theaterintendantin Emmi Werner, Pianist Friedrich Gulda, Formel-1-Pilot Gerhard Berger, Maler Friedensreich Hundertwasser.

Haiders rotzige Antwort läßt auf Nervosität schließen: „Die stehen am Golfplatz herum mit dem Sektglas in der Hand, wohnen in Villenvierteln und laden sich gegenseitig zu Parties ein.“ Daß Haider die von jung und alt geliebten Sport- und Schlagerstars als „intellektuelle Streitmacht“ verächtlich zu machen suchte, brachte ihm nur mehr Häme ein.

In den Stammkneipen des links- liberalen Establishments lodert wieder der Optimismus. Da das Volksbegehren faktisch nichts ändern kann, gilt das Plebiszit als Zählappell des Haider-Lagers. Viele erwarten den ersten ernsthaften Karriereknick des rechten Oppositionsführers. Manche hoffen sogar, Haider könnte bei 250.000 Unterschriften abstürzen – ohnehin wäre jedes Ergebnis unter einer Million eine Niederlage. Zum Verhängnis könnte Haider auch die sonst oft beklagte Mentalität der Österreicher werden. In der Tram oder in der Kneipe gegen Ausländer schimpfen oder anonym die FPÖ zu wählen ist eine Sache – in das nächste Bezirksamt zu gehen und unter Vorlage eines anerkannten Personaldokuments diese Haltung amtlich beglaubigen zu lassen eine andere. Da, so hoffen viele, steht der autoritäre Charakter der Österreicher im Wege.

Ohnehin ist es vor allem die Angst vor negativen Sanktionen, die ein Anwachsen der xenophoben Welle bislang verhinderte. Obwohl die gesellschaftliche Grundstimmung – nicht viel anders als in der BRD – rechtsradikale Gewalttäter begünstigen würde, blieb eine großangelegte Nationalrandale aus. Im Bundesland Oberösterreich haben Jugendliche vor einigen Monaten erfolglos versucht, Molotowcocktails auf ein Flüchtlingsheim zu schleudern, im Burgenland wurde ein jüdischer Friedhof geschändet. Doch die Reaktion von Polizei und Justiz engt den Handlungsspielraum der Neonazis empfindlich ein: So sitzt der unumstrittene Kopf der österreichischen Neonazis, Gottfried Küssel, seit einem knappen Jahr in Untersuchungs(!)-Haft, weil er die Wiederzulassung der NSdAP gefordert hatte. Ein Signal war auch das jüngste Urteil gegen einen Jugendlichen, der einen Brandsatz – der sich nicht entzündete – gegen eine Moschee geschleudert und danach ausländerfeindliche Parolen auf das Bethaus gesprüht hatte: das Höchstgericht verurteilte den Burschen zu viereinhalb Jahren Haft.