Der Auftrag hieß Desinformation

Die taz im Visier des Staatssicherheitsdienstes, Teil 3: Wie die Stasi Falschmeldungen lancierte/ Ob Barschel-Briefe, IWF oder Aids-Propaganda – die Stasi versuchte mitzumischen  ■ Von Wolfgang Gast

Drei Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit waren es im wesentlichen, die mit der „Bearbeitung des Feindobjektes TAZ“ beschäftigt waren. Neben der Hauptabteilung XXII/8 (Terrorabwehr) gab es da die Hauptabteilung II/13, die zuständig war für die „abwehrmäßige Bearbeitung gegnerischer Presseerzeugnisse“ und die AbteilungX der „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA).

Die AbteilungX des Auslandsspionagedienstes blieb auch nach der Stasiauflösung lange Zeit eine geheimnisumwitterte Einrichtung. Ihr oblagen sogenannte „aktive Maßnahmen“, auch bekannt als „Konter-Propaganda“ oder schlicht als „Desinformation“.

Das Meisterstück dieser Abteilung war 1988 die Fälschung eines Briefes, in dem der verstorbene schleswig-holsteinische Ministerpräsident Uwe Barschel einen Hilferuf an den CDU-Landesvorsitzenden und Bonner Finanzminister Gerhard Stoltenberg richtete. Sechs Monate nachdem Barschel tot in einer Badewanne des Genfer Hotels „Beau Rivage“ aufgefunden wurde, erweckten die Desinformationsspezialisten den Eindruck, daß Stoltenberg von Barschels schmutzigen Tricks gegen seinen Rivalen und SPD-Politiker Björn Engholm gewußt haben muß.

Die Fälschung war gelungen, nicht nur taz und Spiegel fielen auf sie herein – selbst die Witwe Barschels bescheinigte ihr Echtheit.

1987 startete die AbteilungX die Aktion „Money“, in deren Verlauf auch die taz eingebunden werden sollte. Das Ziel war, mit einer Medienkampagne Einfluß auf den im Sommer in Berlin tagenden Internationalen Währungsfond (IWF) zu nehmen. Der IWF sollte als eine von der imperialistischen USA dominierte Organisation diffamiert und die Entwicklungsländer dahingehend beeinflußt werden, sich zu weigern, ihre Schulden an die westlichen Industriestaaten zurückzuzahlen.

Wie die leitenden Mitarbeiter der Abteilung „Aktive Maßnahmen“, Günter Bohnsack und Herbert Brehmer, in diesem Herbst berichteten, mußten dazu die Finanzexperten in der Sowjetunion und in der DDR Expertisen erarbeiten, die dann in ihrer HVA-Abteilung „journalistisch aufgearbeitet“ und anschließend auf die Medien abgestimmt wurden, in denen sie schließlich lanciert werden sollten.

Die taz zählte dazu – zuständig dafür war nach den Angaben von Bohnsack und Brehmer taz-Redakteur Till Meyer. Das frühere Mitglied der Bewegung „2.Juni“ wurde im letzten Jahr als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi-HauptabteilungXXII (Terrorabwehr) enttarnt.

Auf höchster Ebene hatten sich im selben Jahr der sowjetische Geheimdienst und das Ministerium für Staatssicherheit auf eine Desinformation besonderer Art verständigt. Der Eindruck sollte erweckt werden, daß der tödliche Aids-Virus im Genlaboratorium der militärwissenschaftlichen Forschungseinrichtung Fort Detrik in Maryland (USA) hergestellt worden war. 1977, so die Legende, sei er dann über Versuchspersonen an die Öffentlichkeit gelangt und habe anschließend die weltweite Katastrophe eingeleitet.

Die Version wurde dankbar aufgenommen – traute doch insbesondere die Linke den Vereinigten Staaten und der CIA nahezu jede Schweinerei zu.

Zunächst griff der Ostberliner Professor Jakob Segal die von der AbteilungX publizistisch beförderte Theorie auf. Der Schriftsteller Stefan Heym sorgte anschließend durch ein Interview mit Segal in der taz dafür, daß die Aids-Lüge weiter verbreitet wurde. Die Debatte um die Segal-Theorien ist in den Medien heftig geführt worden.

Es dauerte Monate, bis sich die renommierten Aidsforscher durchsetzen konnten, die von Anfang an Segals Theorie als absurd bezeichnet hatten.

Im Referat4 der AbteilungX ging am 19.Juli ein Rücklauf über die laufende Kampagne ein. Der Mitarbeiter mit der Nummer 540 (Namen durften wegen der inneren Abschottung zu anderen Abteilungen nicht verwendet werden) vermerkte unter der Überschrift „Abwehrhinweis – Internes zur Tageszeitung“:

„Der Mitarbeiter der TAZ, Arno Widmann, äußerte unserer Quelle gegenüber am 7.7.87 folgendes:

Durch Widmans Fürsprache sei das Heym-Interview mit Professor Segal in der TAZ erschienen. Der zuständige Redakteur habe den Abdruck zunächst abgelehnt, da ihm die Sache unseriös erschien. W. habe gegen diese Meinung argumentiert, die TAZ müsse zumindest die Diskussion zu diesem Thema in Gang bringen. Diese Haltung entspreche seinem journalistischen Selbstverständnis: Journalismus müsse „subversiv sein und zur Diskussion anregen, es dürfe keine Sakrilege und Rücksichtnahmen geben... Im Zusammenhang mit dem Material hatte W. keinen direkten Kontakt zu St. Heym. Er habe ihn erst später persönlich kennengelernt. Von amerikanischer Seite habe es keine Reaktion gegenüber der TAZ auf den Abdruck gegeben.“

Der Informant, auf den sich die Abteilung X stützte, war der Mitarbeiter im DDR-Außenministerium, Joachim Nölte, der die journalistischen Beziehungen zu den ausländischen Korespondenten in Ostberlin betreute.

Nölte stand allerdings selbst in Diensten der Staatssicherheit. Er überbrachte den Auslandsspionen eine weitere Meldung:

„Die taz wolle im Oktober eine Woche lang die Zeitung von bekannten Schriftstellern produzieren lassen. Man habe daran gedacht, von DDR-Seite Jürgen Kuczynski einzubeziehen.“

Das deckte sich in etwa mit anderen Erkenntnissen, die die HVA sammelte und am 6.September zu streng geheimen Informationen verarbeitete. Dem Genossen Voigt von der Terrorabwehr ging ein Exemplar des „Hinweis zur TAZ“ zu. Bürokratisch wie das ganze Ministerium formulierte die HVA:

„Zuverlässig gelangten Hinweise zu einem journalistisch außergewöhnlichen Vorhaben der Westberliner 'Tageszeitung‘ zur Kenntnis, bei dem auch Bürger sozialistischer Staaten mitwirken sollen. Vorliegenden Angaben zufolge planen zuständige Stellen der TAZ, in der Zeit vom 5.– 9.10. 1987 ihre Redakteure zu beurlauben und die journalistische Tätigkeit international profilierten deutschsprachigen Schriftstellern zu überantworten. Neben verschiedenen Bürgern aus der ungarischen Volksrepublik, zu denen allerdings keine personellen Angaben vorliegen, werden aus der DDR der Dramaturg Müller, Heiner sowie der Architekt Henselmann, Hermann tätig werden.

Tatsächlich erschien die „erste taz aus Dichterhand“ (Eigenwerbung) während der Frankfurter Buchmesse vom 8. bis 10.Oktober 1987. Mehr als zwei Dutzend Schriftsteller aus ganz Europa durften sich drei Tage austoben (und unter anderem an einem kollektiven Endlosroman versuchen). Aus Sicht der DDR-Oberen sowohl kritisch (zum Beispiel zum Ausreiseverbot für Lutz Rathenow während der Buchmesse) als auch affirmativ:

So durfte der DDR-Architekt Hermann Henselmann noch ein vorletztes Mal versichern, wie lebendig das „Gespenst des Kommunismus“ in der ganzen Welt sei und warum das so sei: „Die Mehrzahl identifiziert sich mit ihrer Heimat. Auch in der Sowjetunion, auch in der DDR.“

Über Jahre versuchten die MfS- Offiziere akribisch, der einzelnen Mitarbeiter der taz namhaft zu werden. So muß der Heiligabend 1988 aus der Sicht der Offiziere ein Glückstag gewesen sein. Mit Foto und Namen stellte die Hamburger Redaktion den Lesern ihres Lokalteils auf einer Seite all ihre MitarbeiterInnen vor. Der Kollege von der Stasi kommentierte in den Akten jedes Bild auf der Zeitungseite einzeln – entweder mit „erfaßt“ oder mit „nicht erfaßt“.

Die Fotos von zwölf der Nichtregistrierten wurden anschließend auf den Dienstweg gegeben – zur „Erfassung in der HauptabteilungVI“, dem Datenspeicher der Staatssicherheit.

Im Ministerium für Staatssicherheit wurde die Lesart der taz als Kommunistenfeindin von Anfang an gepflegt. Galt sie bei den Sicherheitsbehörden in Deutschland (West) bis Mitte der achtziger Jahre als „Verdachtsfall“ für linksextremistische Bestrebungen (so die offizielle Version), die es mit den Mitteln des Verfassungsschutzes abzuhören, zu überwachen und mit V-Leuten zu durchdringen galt – in Deutschland (Ost) schien die von ihr ausgehende Gefahr erst in der zweiten Hälfte der Achtziger so richtig zu steigen, was das Datum der Klassifizierung als „Feindobjekt“ am 1.1.1986 belegt. Sachstandsberichte wurden nun regelmäßig gefertigt. In einem der ersten, vom 26.Januar, hieß es:

„Die 'TAZ‘ wurde von mehreren Initiativgruppen der undogmatischen Linken gegründet, die im wesentlichen Positionen antikommunistischer Strömungen in der Jugend- und Studentenbewegung der 60er und 70er Jahre vertraten.“

Mit der Zeitung, so die MfS-Einschätzung, sollte ein größerer Einfluß auf die linke Szene erlangt werden,

„nicht zuletzt, um fortschrittliche Kräfte um die DKP und SEW zurückzudrängen“.

Das hinderte die Stasi nicht zu versuchen, über das mißliebige Blatt auch Einfluß auf die linken Bewegungen zu nehmen.

Morgen vierter und letzter Teil unserer Serie „taz im Visier des Staatssicherheitsdienstes“: Keine Ostblockreise ohne Stasi-Überwachung