Sanssouci
: Vorschlag II

■ Serious Drinking

Lieber Dr. Trübsal!

Ich bin jetzt elf Jahre alt und verstehe mich mit meinen Eltern eigentlich sehr gut. Aber in letzter Zeit wundere ich mich öfter über sie. Manchmal holt mein Papa abends diese häßlich verrottete Lederjacke raus und kommt erst am nächsten Morgen mit Ringen unter den Augen und einem ganz ekligen Mundgeruch wieder nach Hause. Dabei hat er manchmal sabbernd auch das Wörtchen „Punkrock“ gemurmelt. Ich habe ihn dann gefragt, was „Punkrock“ denn sei, aber da ist er ganz schweigsam geworden, wollte nicht antworten und hat mich in mein Zimmer geschickt. Da höre ich mir dann immer die Body-Count-Platte an. Vor allem die Texte von Ice-T finde ich klasse, aber meine Mami meint, das sei ein „Sexist“. Was ein Sexist ist, hat sie mir aber nicht erklären wollen. Vor ein paar Wochen bin ich dann nachmittags in die Küche gekommen und meine Eltern saßen händchenhaltend am Küchentisch. Dabei sangen sie sich ein schreckliches Lied vor. Vom Text hab ich nur „God save the Queen and her racist regime“ verstanden. Als sich mich entdeckten, haben sie sich sehr erschreckt und kicherten kindisch.

Vor drei Tagen haben sie mir dann eine Eintrittskarte für ein Konzert geschenkt. Die Band heißt Serious Drinking. Damit ich nicht mehr so blöde frage, hat mein Pappa gesagt. Dann hat er mir eine Platte von der Band vorgespielt und ganz glänzende Augen bekommen. Ich fand die Musik ziemlich doof und schlaff und will eigentlich nicht zum Konzert. Ich möchte lieber zu Body Count.

Ich bin verzweifelt und will das sonst gute Verhältnis zu meinen Eltern nicht belasten. Was soll ich tun? Was zum Teufel ist „Punkrock“?

Max E. (Berlin-Neukölln)

Lieber Max!

Punkrock entstand Ende der siebziger Jahre, bestand aus den immer gleichen drei Akkorden und wurde damals für laut, roh, primitiv und rebellisch gehalten. Ich vermute, Deine Eltern waren damals auch Punkrocker und bettelten in westdeutschen Fußgängerzonen nach Kleingeld. Aber es ist besser, Du sprichst Sie nicht darauf an, sondern wartest, bis sie selbst davon anfangen. Sprich vor allem nie von gefärbten Haaren. Serious Drinking sind eigentlich eine ganz gute Band. Vor allem sind sie sehr lustig und Du solltest hingehen, um Deinen Eltern eine Freude zu machen. Vielleicht verstehst Du dann auch besser, warum ihnen ihre Vergangenheit so peinlich ist. Auf jeden Fall lohnt es nicht, sich wegen eines Konzertes mit den Eltern zu streiten. Wenn Du auf sie zugehst, lassen sie Dich vielleicht auch zu Body Count.

Dein Dr. Trübsal

Heute um 16 Uhr das Kinder-Konzert (Eintritt für Erwachsene nur in Kinder-Begleitung) und um 22 Uhr das für Erwachsene. Beides im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg