Vorlauf
: Sende-Mienen

■ "Bildschirmherrschaft"

„Bildschirmherrschaft“, heute, 17.55 Uhr, 3SAT

Im Sommer 1992 kamen die Regierenden der mächtigsten Industrienationen zum sogenannten G7-Gipfel in München zusammen, in ihrem Gefolge rund 6.000 eifrige Journalisten aus aller Welt auf der Jagd nach „brisanten Informationen“. Doch jenseits jener denkwürdigen Polizeiprügeleien, von Landesvater Streibl anschließend treuherzig als „bayrische Lebensart“ gepriesen, blieben die „politischen Ergebnisse“ äußerst dürftig. Aber darum, so demonstrieren die Filmemacher Manfred Beger, Thomas Riedelsheimer und Mathias Schwerbrock, ging es auch nicht. In ihrer Dokumentation entpuppt sich die dreitägige Veranstaltung als gigantisches Medienspektakel, das von vornherein auch gar nichts anderes sein wollte. Mit dem simplen, aber immer wieder effektvollen Trick, ihre Kameras hinter den Heerscharen von Fotografen und Fernsehmachern zu postieren, ist ihnen ein ebenso amüsantes wie erhellendes Lehrstück über das Verschwinden bzw. die Simulation von Politik im Medienzeitalter gelungen. Indem sie nicht vorführen, wie Potentaten winkend aus Limousinen steigen, sondern wie ganze Heerscharen von Berichterstattern sich prügeln, um dieses abzulichten, oder Fernsehkommentatoren noch mal nervös an der Krawatte nesteln, gebannt auf ihre Positionsmarkierungen am Boden starren, um dann auf Kommando jene gewichtigen Sende- Mienen aufzusetzen, die aus Banalitäten erst Nachrichten werden lassen, gewinnt ihre unkommentierte Montage jene Differenz, von deren Negation Politik und Medien inzwischen gleichermaßen bestens leben. „Glaubt nie das, was ihr im Fernsehen seht“, sagt ein TV-Kameramann. Spricht's und stürzt sich, die Betacam hoch über dem Kopf, wieder ins Getümmel. Doch Backstage erleben die meisten seiner Journalistenkollegen selbst diese Potemkinsche Inszenierung von Politik nur am Bildschirm. Vollends damit beschäftigt, die auf mehreren Monitoren einlaufenden Bilder mit den offiziellen Verlautbarungen zu „Nachrichten“ zu verarbeiten, treten sie allenfalls mal zwischendurch ins Freie, um vor pittoresker Kulisse ihren 1:30-Kommentar zu sprechen. Aber eigentlich gibt es nichts zu berichten. Auch jenes „Deathwatch-Team“ des US- Fernsehens, das, seit Bush einst in Japan vom Stuhl kippte, eigens auf Schwächeanfälle angesetzt ist, zieht unverrichteter Dinge wieder ab. Aber der nächste Gipfel kommt bestimt. Same procedure as every year. Reinhard Lüke