■ Zu neuen Erlassen, Verfügungen etc. pp.
: Artenschutz für die Förderschnecke!

Das euphemistische Verhältnis unserer Gesellschaft zu den Gefahren der automobilen Fortbewegung im allgemeinen und deren Beschleunigung im besonderen gab uns in dieser kleinen, radikal wirkungslosen Zeitung schon des öfteren Anlaß zu persistenter Mäkelei, weshalb wir nur in Ausnahmefällen wie dem heutigen auf die herb deprimierende Verbindung von Männlichkeitswahn, Alkoholismus und Pferdestärke zurückkommen. Die Koinzidenz zweier Gesetze resp. Verfügungen allerdings, die ein hartes, steiles Licht auf die zur Erscheinung hin drängenden kollektiv-neurotischen Strukturen unserer Nomenklatura wirft, zwingt uns zu dieser Wiederholung.

Erstens dürfen nämlich ab morgen alle, aber auch alle Autofahrer auf Deutschlands Landstraßen in West und Ost 100 km/h in ihren mit Stoßstange und Air-bag bewehrten Geschwindigkeitspanzern zurücklegen, und das, Bacchus sei gelobt, mit leicht eintrübenden 0,8 Promille hinter der bloßen Stirn. Und zweitens werden im neuen Jahr endgültig alle, aber auch wirklich alle Paternoster abgeschafft, die bisher, als Förderschnecken im mählichen Naturkreislauf des Büromenschen geliebt und gern genutzt, der ungeschützten Fortbewegung in geschützten Räumen dienlich waren. Wir schließen daraus erstens: Deutschland übergibt sich entschlossen dem Geschwindigkeitsrausch und verfährt (wie im dunklen Grunde zu erwarten) nach der Devise: vom Westen lernen heißt schneller Überleben lernen; zweitens: die fahrlässige (schönes Wort) Tötung auch unbeteiligter Verkehrsteilnehmer im Beschleunigungs- und Alkoholrausch ist dem nüchternen Beinbruch bei ungeschickter Paternosterbenutzung allemal vorzuziehen; und drittens: das letzte Wort hat die Versicherung. Wird man nämlich mit dem Auto von einem Betrunkenen an- oder gar totgefahren, ist die Sache finanziell ganz unbedenklich. Schwingt man sich aber mit den eingerosteten Gelenken in die unaufhörlich schneckende Fördergrube namens Paternoster (das elfte Glied im Rosenkranz), dann muß womöglich das Amt und Unternehmen haften, welches, als Alternative zu Treppenhaus und Fahrstuhl, der Langsamkeit mit privatem Restrisiko ihr Recht gab. Kostengünstig, wartungsarm und mit geringem Stromverbrauch, so glich die Förderschnecke dem Leben selbst, bisher. In ihrer schlichten, formschönen, evidenten Funktionalität allenfalls der Büroklammer, der Windel und (für unsere automobilen Freunde) dem Wankelmotor vergleichbar, muß sie nun dem rasenden Fortschritt weichen, der teuer, wartungsintensiv, mit hohem Energieverbrauch und permanentem Schleudertrauma uns dem Jenseits näherbringt. Death becomes us. ES