Stabilität auf unterster Ebene

Weißrußland konserviert sowjetische Strukturen/ Privatisierung hat nur Gegner, aber ausländische Investoren sind herzlich eingeladen  ■ Aus Minsk Klaus Bachmann

Andrzej Stepniewski von der polnisch-weißrussischen Joint- venture-Gesellschaft Belograd schweigt, wenn er nach seinem Bilanzgewinn gefragt wird. Auch die Umsätze behält er lieber für sich. Nur so viel gibt er preis: Das Geschäft lohne sich, trotz der vielen Schmiergelder, der bürokratischen Schwierigkeiten, trotz Korruption, Mafia und fehlender Infrastruktur.

Stepniewski ist Mitbesitzer einer Textilfabrik in Grodno, in der rund hundert weißrussische Arbeiterinnen Oberbekleidung für den Export herstellen. Pro Anorak fließen dabei etwa 11.000 Rubel in die Kasse der Belograd – genausoviel, wie eine Arbeiterin im Monat verdient. Die Hungerlöhne, umgerechnet gerade 12 US-Dollar, gehören dennoch zu den höchsten der Stadt. Darauf ist Direktor Kobus Vitalis geradezu stolz: „Es gibt nur eine Fabrik, übrigens auch ein Joint-venture, in der mehr bezahlt wird.“ Die juristischen Grundlagen für ausländische Investoren seien durchaus in Ordnung, finden die beiden Unternehmer. Die Regierung in Weißrußland garantiert ihnen einen vollen Gewinntransfer und eine fünfjährige Steuerfreiheit auf die Erträge. Da macht es anscheinend auch nichts, daß insgesamt immer noch rund 15 verschiedene andere Steuern zu bezahlen sind. „Auf einen Rubel Lohn kommen 1,4 Rubel Steuern, auf einen Rubel Gewinn 83 Kopeken Steuer“, rechnet Tatjana Bykowa, im Unternehmerverband zuständig für Mikroökonomie, vor. Da kommt schon eine nette Summe für die Unternehmen zusammen.

Ärgerlich sei dagegen, daß man im Land nichts gegen Rechnung bekomme: „Die Leute haben Geld, aber nicht auf der Bank, und sie geben auch welches aus, aber nur in bar und ohne Beleg.“ Auch auf offizieller Ebene gibt es diese Probleme: Nach dem Konkurs der Wneschnekombank, der sowjetischen Außenhandelsbank, sind dort von allen ehemals sowjetischen Joint-ventures noch gigantische Devisensummen eingefroren, von denen bis heute nicht geklärt ist, ob sie Rußland oder Weißrußland gehören. Belograd wurde vor zwei Jahren nach sowjetischem Recht gegründet, inzwischen gibt es aber ergänzende weißrussische Gesetze. Was in welchem Fall gilt, darüber streiten sich die Juristen.

Investitionen wie die Textilfabrik Belograd bringen erfahrungsgemäß jährliche Renditen von 100 Prozent, heißt es. Kein Wunder, daß Stepniewski und Vitalis für Weißrußland werben: Niedrige Löhne, billige Arbeitskräfte, günstige Rohstoffe – schließlich ist ja noch alles, mit Ausnahme der Löhne, vom Staat subventioniert. Paradoxerweise hat gerade die Tatsache, daß Wirtschaftsreformen allenfalls in rudimentären Ansätzen stattgefunden haben, die ausländischen Investoren angelockt. 650 Gemeinschaftsunternehmen sind in Weißrußland registriert, die Hälfte davon gehört Pionieren aus Polen, meist abenteuerlustigen Kleinunternehmern, die in der Grauzone zwischen Sowjetwirtschaft, Mafia und Mangelwirtschaft gewaltig abräumen. Konkurrenz haben sie nicht zu fürchten, denn andere Investoren halten sich merklich zurück.

Eine Privatisierung gibt es bisher nur in Ansätzen: Gerade 160 Staatsbetriebe mit 500.000 Angestellten wurden bisher einem Transformationsprozeß unterzogen. Die meisten davon haben die Behörden allerdings an die Belegschaften verpachtet, am Management änderte sich dabei ebensowenig wie am Eigenkapital. Auch beim Bodenrecht zeigen Weißrußlands Reformer einen heftigen Hang zum kollektiven Eigentum– der Begriff wurde in die Agrarreform übernommen und soll nun den Status der Kolchosen festschreiben. Maks Kunjavski, Vorsitzender des weißrussischen Unternehmerverbandes: „Nur eine kleine Gruppe von Direktoren kann der Privatisierung etwas abgewinnen. Die Belegschaften sind dagegen, weil sie die Arbeitslosigkeit fürchten; die Ministerien sind dagegen, weil ihr Einfluß auf die Betriebe dann flötengeht; die Bevölkerung ist dagegen, weil sie Preiserhöhungen fürchtet.“

Die finden sowieso dauernd statt, der hohen Inflation wegen. Die in Weißrußland konservierte Planwirtschaft mit ihren Mangelerscheinungen, hohen Subventionen, horrenden Steuern und galoppierender Inflation kommt also fast nur Joint-ventures zugute. Die Gemeinschaftsunternehmen exportieren ihre Erzeugnisse und können so die niedrigen Stückkosten und günstigen Wechselkurse maximal ausnutzen. Insgesamt erlebt Weißrußland im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten nur eine geringe Rezession: Anfang des Jahres ging die Produktion um 10 bis 12 Prozent zurück, um im November wieder um 1,2 Prozent im Vergleich zum November 91 anzusteigen. Doch die offiziellen Zahlen trügen: Während Produktionsrückgang in Polen oder den baltischen Staaten mit einer Stärkung der Währung und Restrukturierung der Wirtschaft einhergeht, ist die weißrussische Rezession nur die Folge des Handelschaos der GUS-Staaten. Die Vorteile der polnischen Rezession bleiben Weißrußland so vorenthalten. Mit einer Ausnahme: Arbeitslosigkeit gibt es dort nicht.