Tote Sender leben länger

■ Nach Fan-Protesten: Noch einmal eine Galgenfrist für das DDR-Jugendradio DT64

Dresden (taz/dpa) – Das DDR- Jugendradio DT64, das die Christdemokraten im Südosten endgültig abschalten wollen, hat das alte Jahr doch noch überlebt. Inzwischen haben Regierung und Opposition im Freistaat Sachsen „ein Nonstop-Programm für die Jugend“ befürwortet. Das ist das Fazit eines Gespräches, an dem am vergangenen Mittwoch in der sächsischen Staatskanzlei unter anderem Vertreter der Regierung, der Landtagsfraktionen von SPD, Bündnis90/Grüne und des Netzwerkes zum Erhalt von DT64 teilnahmen. In welcher Weise das Programm ausgestrahlt werde, sei Sache des Rundfunkrates des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), der am 18. Januar zu seiner nächsten Sitzung zusammentreffe. Bis zu einer gesetzlichen Regelung werde DT64 auf der bisherigen Mittelwellen-Frequenz von MDR weitergesendet.

Nach Ansicht der stellvertretenden Regierungssprecherin Heidrun Müller sollte zunächst geprüft werden, ob DT64 oder ein anderer Jugendsender auf einem der vier Programme von MDR weitersenden könne. Wenn es dafür keine Voraussetzungen gebe, stehe eine Gesetzesänderung zum MDR- Staatsvertrag zwischen Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen zur Diskussion. Am Vortag hatte Regierungssprecher Michael Sagurna vorgeschlagen, ein Nachfolgeprogramm von DT64 in das Programm MDR-live zu integrieren.

Die Opposition hingegen befürwortete eindeutig den Erhalt von DT64 als Jugendsender und forderte die Erweiterung des Staatsvertrages. Das Netzwerk der Initiativen zum Erhalt von DT64 warf der Regierung erneut vor, bereits gegebene Versprechungen nicht einzuhalten. Bereits am 24. September habe die Staatskanzlei dem MDR-Intendanten ihre „Zustimmung“ zum Weiterbetrieb von DT64 über Satellit gegeben.

MDR-Intendant Udo Reiter will nun nach eigenen Angaben zu Beginn des Jahres mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) über eine Jugendwelle reden.

Das Einlenken der sächsischen Staatskanzlei nach den erneuten Protesten der DT64-Fans entspringt wohl der Einsicht in die tatsächlichen Zuständigkeiten. Denn der Rundfunkrat des MDR hatte in seiner Dezembersitzung endgültig die Fortführung von DT64 beschlossen. Und die Telekom, die die Sendeanlagen in Wilstruff bei Dresden betreibt, hat keinen Vertrag mit der Staatskanzlei, sondern mit dem MDR. Auch wenn der MDR-Staatsvertrag eigentlich nur vier Radioprogramme vorsieht, soll DT64 nun zunächst weiter auf der Mittelwellenfrequenz 1044 KHz gesendet und ab Frühjahr 1993 zusätzlich über Satellit abgestrahlt werden, mit der Chance, das Programm dann in die Kabelnetze in ganz Deutschland einzuspeisen. Das ist gut so. Denn DT64 wird von den HörerInnen immer noch geliebt. Etwa 200.000 Fans halten dem Sender trotz seines für einen Musiksender eigentlich tödlichen Umzugs auf die Mittelwelle die Treue.

DT64 ist letztes Überbleibsel des gewendeten DDR-Staatsrundfunks und schon allein deswegen vor allem CDU-Medienpolitikern ein Dorn im Auge. Er ist aber auch ein Sender mit Witz, hohem Wortanteil sowie Engagement aus der Zeit des Zusammenbruchs der alten DDR-Gesellschaft, als keine Bürokraten und Zensoren den ProgrammacherInnen dazwischenfunkten. Der ORB und der SFB in Berlin-Brandenburg täten gut daran, endlich die Angebote von DT64 zur Zusammenarbeit anzunehmen, um wenigstens Teile der DT64-Sendungen für ihr neues Jugendprogramm zu übernehmen. Die Chancen für ein Ost- West-Jugendradio unter Einbeziehung von DT64 sind noch nicht völlig vertan. Die Aktionen der DT64-Freunde jedenfalls gehen weiter: An Silvester wurde in Magdeburg mahngewacht; am kommenden Sonntag um 15 Uhr soll es in Dresden eine Demonstration geben, die vom Rathaus zur sächsischen Staatskanzlei führt. Jürgen Karwelat