■ Ökolumne
: Lange genug gespalten Von Umweltminister
Harald B. Schäfer

Götterdämmerung für die Kernenergie, der Abschied hat begonnen: der atomwirtschaftliche Zug hat angehalten, der Diplomatenkoffer ist aus dem Fenster gereicht, gerade ertönt das Signal zum Verlassen und jeder ist damit beschäftigt, ein möglichst elegantes und glaubwürdiges Bild beim Ausstieg zu geben. Fast jeder. Nur mancher Politiker hat noch nicht begriffen, daß der Zug in der Endstation steht und selbst von der Energiewirtschaft verlassen wird. Das Atom hat die Gesellschaft lange genug gespalten. Der geordnete Ausstieg erfordert jetzt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, aber über das Wie und Wohin der Energiepolitik insgesamt. Ziel muß die grundlegende Neuorientierung der Energieversorgungsstrukturen in Deutschland sein.

Erstens: Bei der Gestaltung des Ausstiegs darf es eines nicht geben: Sicherheitsrabatt. Dies ist ein unabdingbarer Bestandteil einer jeden Konsensfindung. Oder anders ausgedrückt: Die dringend nötige Atomnovelle – ein „Kernenergieabwicklungsgesetz“ – muß stärker als bisher den heutigen, das heißt neuesten Stand von Wissenschaft und Technik zum Maßstab auch für den Betrieb von älteren Anlagen machen.

Dementsprechend hat die große Koalition in Baden-Württemberg laufende Sicherheitsüberprüfungen mit alternativen Gutachtern vereinbart. Auch das ist ein Beitrag zur Konsensfindung über die Frage, wie sicher ein (noch) laufendes Kernkraftwerk ist.

Zweitens muß klar sein: Neugenehmigungen für Kernkraftwerke darf es nicht geben. Baden-Württemberg hatte schon seit letzten Sommer eine Vorreiterrolle hierfür eingenommen: erstmals wurde in einer Regierung unter CDU-Beteiligung der Ausbau, Neubau und Ersatzbau von Kernkraftwerken ausgeschlossen.

Drittens: Ich halte diese Koalitionsvereinbarung auch deswegen für wegweisend, weil darin von einer weiteren „Option“ der Kernenergienutzung keine Rede ist. Ich schließe eine solche Option aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, aber vor allem aus Sicherheitsgründen aus. Von der Utopie des ehedem versprochenen „inhärent“, also schlechthin sicheren Reaktors hat die Atomwirtschaft längst Abschied genommen. Die angekündigte neue, „viel bessere“ Reaktorlinie ist nur der Versuch, das eingefallene „Kartenhaus der atomaren Utopien“ neu zu errichten.

Was soll denn auch eine weitere „Option“, wenn die Entsorgung des Atommülls heute noch nicht einmal ansatzweise gelöst ist! Die Eckpunkte der SPD soweit sind klar: Wiederaufarbeitung nein, Export des Atommülls nein, direkte Endlagerung ja, Zwischenlager auf sicherer Rechtsgrundlage ja. Für Endlagerstätten muß die umweltverträglichste und sicherste Lösung gefunden werden.

Angesichts von Treibhauseffekt und Ozonloch muß ein neuer Energiekonsens vor allem ein Energiesparkonsens und ein Konsens zur Förderung regenerativer Energien sein. Eine neue Energiepolitik muß entscheidend zum Klimaschutz beitragen und das CO2 maßgeblich reduzieren. Dies ist mit dem Ausstieg aus der Atomenergie vereinbar, was verschiedene Enquete- Kommissionen des Deutschen Bundestages nachgewiesen haben. Energiesparen muß die wichtigste Energiequelle werden. Techniken zur rationellen Energieerzeugung und -verwendung wie Kraftwärmekopplung stehen ebenso vorne wie der verstärkte Einsatz regenerativer Energiequellen. Wenn moderne Gaskraftwerke mit Kraftwärmekopplung einen Wirkungsgrad von 90 Prozent erreichen, Kernkraftwerke aber nur von 33 Prozent, dann unterstreicht dies, daß die Kernenergie als „Dinosaurier-Technologie“ nicht ins 21. Jahrhundert paßt. Wenn die Enkel unserer Enkel dies anders wollen, so steht es natürlich in deren Belieben. Wer die heutigen, riesigen Energiesparpotentiale nicht weiterhin ignoriert, der weiß, was in den nächsten Jahr(zehnt)en wirklich zu tun ist. Maßnahmen wie zum Beispiel die Gründung landeseigener Klimaschutz- und Energieagenturen zeigen, wo der richtige Bahnsteig für den Zug in Richtung Zukunft zu finden ist.