„Wir sind in Realität Doppelstaatler“

■ Was Immigranten von einer Einbürgerung halten/ Eine nichtrepräsentative Umfrage

Berlin (taz) – Seit vier Wochen ist Ünal Erkan* Deutscher. „Ein bißchen komisch“ sei es schon gewesen, in den deutschen Paß zu schauen und zu lesen: „Staatsangehörigkeit: deutsch“. Und ein „schlechtes Gewissen“ habe er gehabt, ausgerechnet jetzt, nach den Morden von Mölln, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Aber nach 19 Jahren in der Bundesrepublik wollte der 40jährige „endlich Bürgerrechte“, vor allem das Recht zu wählen. Daß er seine türkische Staatsangehörigkeit aufgeben soll, sieht Ünal Erkan aber nicht ein. „Wir sind Doppelstaatler in der Realität. Wir verkehren zwischen zwei Welten. Dem werden die Gesetze nicht gerecht.“ Nur ganz wenige geben ihre türkische Staatsangehörigkeit auf, weiß er. Denn damit sind nicht nur handfeste wirtschaftliche Nachteile wie der Verlust von Erbrechten verbunden. Seine Freunde haben ihm gesagt, wenn du die türkische Staatsangehörigkeit aufgibst, verzeihen wir dir das nie. Auch seine kleine Tochter aus der Ehe mit einer Deutschen fragte besorgt: „Aber du bleibst doch Türke, Papa?“

„Auch mit einem deutschen Paß bleibe ich ein Ausländer. Schwarze Haare bleiben schwarze Haare“, meint ein 35jähriger Gemüsehändler aus Berlin-Kreuzberg. Er sieht deshalb keinen Grund, warum er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen sollte, auch wenn er gerne das Wahlrecht hätte. Er lebt seit 13 Jahren in Berlin und ist mit einer Deutschen verheiratet. „Ich habe eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung, das ist so gut, wie ein halber Deutscher zu sein“, sagt er lachend.

Auch sein 46jähriger Landsmann, der um die Ecke eine Änderungsschneiderei betreibt, verspricht sich nicht allzuviel von einer Einbürgerung. „Sie sagen trotzdem ,Scheiß Türke‘ zu uns, da kannst du hundertmal einen deutschen Paß haben.“ Trotzdem hat die ganze Familie einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Seine beiden in Deutschland geborenen Söhne, 21 und 22 Jahre alt, wollten es so. Sie hatten gehofft, dann leichter einen Arbeitsplatz zu finden. Seit anderthalb Jahren haben die beiden die doppelte Staatsangehörigkeit. Genützt hat ihnen das wenig. Sie sind immer noch arbeitslos. Seit Mölln denkt der grauhaarige Schneider an eine Rückkehr in die Türkei, auch die Söhne wollen mitkommen. „Abends gehen wir nicht mehr spazieren, fahren nicht mehr U-Bahn.“

„Als EG-Mitglied ist ein deutscher Paß für mich uninteressant. Ich habe eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, und nur, um wählen zu können, würde ich die deutsche Staatsangehörigkeit nicht annehmen“, sagt ein 39jähriger Diplominformatiker, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt. Und außerdem: „Meine Freunde würden mich auslachen, wenn ich Deutscher würde. Das ist der griechische Stolz.“ Auch sein 35jähriger Landsmann sieht keinen Vorteil darin, sich einbürgern zu lassen. Selbst als Gutverdienender habe man mit einem griechischen Namen bei der Wohnungssuche schlechtere Chancen. Ein deutscher Paß würde vielleicht vor Schikanen der Behörden schützen, meint der Gastronom. Trotzdem, eine Einbürgerung ist für ihn „kein Thema“. Dorothee Winden

* Name von der Redaktion geändert