Blick voraus im Zorn

■ Waigels Sparpläne: Pakt ja, Solidarität nein/ Heftige Kritik auch aus der Union

Berlin (taz/dpa) – Nach dem Weihnachtsfrieden das Sozialgefecht. Für die Finanzierung des „Aufschwungs Ost“, auf den wir alle seit nunmehr zwei Jahren warten, fehlen in diesem Jahr geschätzte 10 bis 12 Milliarden DM. Nach dem Willen von Finanzminister Theo Waigel (CSU) sollen Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen aus ihren Überschüssen diese Lücke schließen helfen. In Gesprächen mit dem Nachrichtensender n-tv und der Augsburger Allgemeinen bestätigte Waigel im wesentlichen jene „Sparpläne“, die bereits im Dezember als Drohung kursierten: Sozialhilfe, Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe sollen um jeweils drei Prozent gekürzt werden; eine Entscheidung darüber wie über den gesamten „Solidarpakt für den Aufbau Ostdeutschlands“ muß nach Waigel noch im Januar fallen.

Der Minister begründete seine originelle Idee, bei den geringsten Einkommen zu kürzen, mit der Notwendigkeit des Sparens „an allen Ecken und Enden“. Auch müßten die Sozialleistungen „wieder in ein vernünftiges Verhältnis zum Arbeitslohn gebracht werden“. Bei seinen Streichungsplänen nahm er die Renten und die Rentenanpassung ausdrücklich, die Abgeordneten (plus 2,5 Prozent) und die Gut- und SpitzenverdienerInnen stillschweigend aus.

Heftig waren die ersten Reaktionen sogar aus der eigenen Partei. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Heiner Geißler kritisierte, man könne „nicht denen noch Geld wegnehmen, die ohnehin schon zuwenig haben“. Franz Dormann, Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, nannte Waigels Wahn einen krassen Verstoß gegen die von Kanzler Kohl versprochene „sozial ausgewogene Einsparung“. Würden die Absichten des Finanzministers verwirklicht, werde ein tiefer „Gerechtigkeitsgraben“ aufgerissen.

Der SPD-Sozialexperte Rudolf Dreßler bezeichnete die Sparpläne als einen „finanzpolitischen Offenbarungseid“ und prognostizierte, Waigel werde für seine Pläne die erforderliche Mehrheit nicht finden: „Mit solchen Vorstößen wird nur das soziale Klima vergiftet und zugleich der angestrebte Sozialpakt torpediert.“ Auch die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) warnte: Diese Pläne seien „ein Sprengsatz für den von der Bundesregierung gewünschten Solidarpakt.“ HeinerGeißler ließ es ebenfalls an Deutlichkeit nicht fehlen: „Es ist nicht einzusehen“, sagte er im Saarländischen Rundfunk, „warum Minister und Ministerpräsidenten, Intendanten und Direktoren auch noch Kindergeld bekommen müssen.“ Statt bei den kleinen und kleinsten Einkommen zu sparen, müsse über Einkommensgrenzen für Spitzenverdiener nachgedacht werden.

Bis Redaktionsschluß bekundete einzig Otto Graf Lambsdorff, erfahren mit finanziellen Transaktionen der heikelsten Art, in der gewohnten Unerschütterbarkeit seine Solidarität mit dem Light Minister for Money: „Ein Sozialpakt“, lautete seine Einsicht in der Leipziger Volkszeitung, „kann nur dann Erfolg haben, wenn er möglichst viele schmerzt. Hier ist es wie in der Medizin: Nur die bittere Arznei hilft.“ Jedenfalls dem Apotheker. ES Kommentar Seite 12