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Telefon für den alltäglichen Elternstreß

■ Alleinerziehende Mütter haben die meisten Sorgen / Ehrenamtliche hören zu

Feierabend: Muttern kommt gestreßt nach Hause, Vattern verzieht sich nach des langen Tages Müh auf das Sofa vor dem Fernseher, die Kinder nölen, die Hausarbeit ist liegengeblieben, das Essen muß auf den Tisch. Aus ists mit dem Familienfrieden und die dümmsten Kleinigkeiten führen jetzt leicht zur Katastrophe. „Jetzt nicht an den Kindern vergreifen“, fordert das Bremer Kinderschutzzentrum und bietet eine Alternative: „Greifen Sie lieber zum Telefon.“ Von 17 bis 20 Uhr, wenn der Familienfrieden hochgradig gefährdet ist, sitzen Ehrenamtliche im Zentrum vor dem Steintor am Krisentelefon.

„Das ist eine Zeit, zu der sämtliche Erziehungsberatungsstellen schon geschlossen haben“, begründet die Psychologin des Kinderschutzzentrums, Anette von Stemmen, diesen Service zur Abenstunde. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Telefon haben eine neunmonatige Ausbildung in Geprächsführung hinter sich. „Wir machen aber keine Telefonberatung oder Gesprächstherapie“, sagt Rainer, der seit drei Jahren zweimal im Monat Anrufe entgegennimmt. „Wir versuchen, die Leute zu entlasten, indem wir ihnen zuhören. Sie können sich bei uns auskotzen, und oft hilft das schon.“

Bloß keine klugen Sschnacks

Ein bis zwei Anrufe kommen Abend für Abend. Die HelferInnen und Helfer des Kinderschutzzentrums geben Hilfesuchenden und Verzweifelten Tips, an welche Anlaufstellen sie sich mit ihren Problemen wenden können. Viele AnruferInnen fühlen sich nach dem Gespräch schon erleichtert. „Aber wir geben niemandem einen Rat, was er tun soll“, betont Rainer, „wir können den Leuten nur helfen, ihr Problem von einem anderem Blickwinkel aus zu sehen“. Und bloß „keine klugen Schnacks“, ergänzt Dagmar, Neuling am Eltern-Stress-Telefon, „damit ist niemand geholfen“.

Wer nutzt das Eltern-Stress-Telefon? 70 Prozent der AnruferInnen sind Mütter, lautet die Auskunft der Psychologin. „Alleinerziehend und überfordert“ beschreibt Rainer sie. 15 Prozent der Anrufe kommen von Kindern, auch solchen, die von zu Hause wweggelaufen sind und sich nun nicht mehr zurück trauen. Der Rest sind „Fremdmelder“: Nachbarn, „die sich wirklich Sorgen machen“, sagt die Psychologin. Nur ein kleiner Teil dieser Fremdmel

Telefon als StreßableiterFoto:Tristan Vankann

der wolle Anzeige erstatten, doch dafür sei das Eltern-Streß-Telefon nicht zuständig: „Wir haben hier keine Kontrollfunktion.“ Auch das Jugendamt wird nicht benachrichtigt.

Anonyme Hilfe

Und warum rufen gestreßte Eltern an? Ein Grund ist die Anonymität, vermutet Dagmar. Am Streß-Telefon sitzen Menschen, die im Gegensatz zu Freunden oder Bekannten kein Bild von den Anrufenden haben. Viele AnruferInnen reden erst einmal über die kleineren Probleme: mit der Schule, dem Taschengeld, bis sie zum Eigentlichen kommen, berichtet

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mit dem Telefon

Rainer. „Dann kann es sein, daß du auch mal eine Stunde an der Strippe hängst.“ Längst nicht alle, die anrufen, „sind ein Fall für das Jugendamt oder den Psychiater“, hat er beobachetet. Und wenn die Leute am Ende des Gesprächs sagen, daß es ihnen besser geht, weiß er, daß es ein bißchen geholfen hat.

Was ihn manchmal stört: „Man weiß nicht, wie es bei den Leuten weiter geht.“ Denn natürlich bekommen die HelferInnen am Eltern-Streß-Telefon auch Dinge zu hören, „die nicht so einfach abgleiten“. Zum Beispiel die Trauer einer Frau über den Selbstmord ihres Mannes. Dann kann es schwer werden, an dem Leitspruch festzuhalten, den auch Dagmar aus ihrer

Ausbildung zur Krisenhelferin kennt: „Die Probleme der anderen sind nicht deine eigenen.“ Nur selten haben Dagmar und Rainer mit „sehr harten“ Fällen wie Gewalt in der Familie oder sexuellem Mißbrauch zu tun. „Aber wir intervenieren nur, wenn es wirklich darum geht, den Krankenwagen oder die Polizei zu rufen.“ Und einiges von dem was sie zu hören bekommen, kennen die MitarbeiterInnen, die meist selbst Eltern sind, aus eigener Erfahrung. Rainer: „Ich lebe getrennt und habe einen 16-jährigen Sohn. Man bearbeitet hier oft seine eigene Geschichte.“ Diemut Roether

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