Sanssouci: Nachschlag
■ „500 Jahre Goldrausch“ im Naturkundemuseum
„Sie wollen nur Gold. Sie winseln um Gold, sie schreien um Gold, sie zerfleischen einander um Gold. Frage sie um den Preis deiner Freiheit, und du wirst sie mit Gold kaufen können. Es gibt nichts in der Welt, was sie dir nicht für Gold geben würden, ihre Weiber, ihre Kinder, ihre Seele und sogar die Seelen ihrer Freunde.“ So sprach 1532 der Inka-Kaiser Atahualpa, bevor er, trotz Zahlung eines ungeheuren Lösegeldes, von den spanischen Conquistadoren erdrosselt und seines Goldschatzes beraubt wurde.
Wer sich derzeit, durch den kulturhistorisch blinkenden Titel „Goldrausch“ angelockt, ins Naturkundemuseum begibt, wird dort allerdings eine Ausstellung vorfinden, die sich ihrem Thema aus einer fast ausschließlich technischen und mineralogischen Perspektive nähert. Der Goldraub nach der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus und die systematische Ausbeutung der Bodenschätze als Folge der wissenschaftlichen Erforschung des Kontinents durch Alexander von Humboldt sind zwar die thematischen Leitlinien, doch daß der Goldrausch das Fieber dieser Entdeckungen und Erforschungen selbst war, bleibt der blinde Fleck dieser Ausstellung.
Worin besteht die mythische Anziehungskraft und ganz profane Macht des Goldes? Den Mythos Gold, mit dem der reißerische Ausstellungstitel spielt, muß sich der Besucher schon selbst zusammensetzen: denn der kulturhistorische Kontext und die sozialen Aspekte dieses Phänomens sind auf eine papierne Zitatensammlung reduziert. Den Goldrausch als visuellen Taumel hat die Ausstellung aufgrund ihrer räumlichen Beschränktheit nicht inszenieren können. Immerhin nennt Maximilian Glas, der Herausgeber des Katalogs, einige Kriterien für die schillernde „Persönlichkeit“ des Goldes: zuallererst ist es einfach schön und beständig wie kein anderes Metall; resistent gegen Rost und Oxydation eignet es sich hervorragend zum Horten; darüber hinaus ist es äußerst rar, auch weil es schwer zu gewinnen ist. Diese Eigenschaften machen es so wertvoll...
Was ist Gold? Wie wird es, wenn man es nicht stehlen kann, gesucht, gefunden und gewonnen? Das Naturkundemuseum konzentriert sich bescheiden auf diese beiden Fragen und stillt dabei sehr didaktisch eben jenen Wissensdurst, der nicht nur Kinder regelmäßig dazu treibt, das Funktionieren, sagen wir, der Dampfmaschine verstehen zu wollen. Wer weiß schon, wie viele verschiedene Gestalten Gold haben kann? Am bekanntesten ist das Nugget, ein durch Auswaschung entstandener Klumpen schieren Goldes, wie er in jedem dritten Western aus den Flußbetten gesiebt wird. Das Nugget ist eine plumpe Angelegenheit im Vergleich zu den in Quarzadern eingeschlossenen, mühsam mit Hammer und Meißel freizulegenden, zweidimensional-filigranen Gebilden gediegenen Goldes oder den komplizierten oktaedrischen Kristallformen, von denen in der Ausstellung einige wunderbare Exemplare zu sehen sind.
Da konnte auch das Museum selbst nicht widerstehen und kaufte für 27.000 Mark ein Goldgeflecht auf Quarz aus der berühmten Eagle's Nest Mine. Eine erstaunliche Berechnung, in der sich die Mentalität des Hortens erneut prachtvoll entfaltet, weist nach: Alles bisher geförderte Gold der Welt – das den Indios geraubte, das im letzten Jahrhundert in Amerika mühselig geschürfte und gesiebte, die Barren in Fort Knox, Kelche, Kronen, Schmuck und alle unsere Backenzähne – würde zusammengeschmolzen in einen Würfel von 18 Meter Kantenlänge passen. Wo der Rest ist, weiß man zwar, aber man kommt (noch) nicht dran.
Der primäre Abbau, also die Goldförderung aus Gesteinsschichten, ist nämlich in der Zwischenzeit derartig teuer, daß es nur noch als Abfallprodukt des Abbaus anderer Metalle gewonnen wird. Auch die sekundäre Goldgewinnung durch Waschen und Sieben können sich eigentlich nur noch (berauschte?) Privatleute leisten. Vor allen Dingen in Alaska kann sich der zeitgenössische Urlaubs-Abenteurer in seinen ganz persönlichen Goldrausch stürzen. Aber auch in München gibt es einen bayerischen Goldwäscherverein, der bei der Weltmeisterschaft seiner Zunft immerhin einen Preis gewann. Vereinsmitglied Josef Baindl aus Wolfratshausen verbringt jedes freie Wochenende und seine gesamten Ferien in Amerika oder in der Isar, die, so Mr. Baindl, ebenfalls Gold führt.
Die größten Goldreserven weiß man allerdings auf dem Meeresgrund. Dort, am Fuße der Bruchstellen, an denen die Kontinente auseinandergedriftet sind, befindet sich ein neues Eldorado. Im Laufe der Jahrtausende haben Strömungen, Oxydation und Erosion aus dem Gestein herausgelöst, was dagegen beständig und unzerstörbar ist: Gold. Der nächste Goldrausch findet unter Wasser statt. Barbara Häusler
Die Ausstellung „500 Jahre Goldrausch“ ist noch bis 31.3. 93 im Museum für Naturkunde der Humboldt-Universität, Invalidenstraße 43, Di-So 9.30 bis 17 Uhr, zu sehen. Der informative, aber ebenfalls sehr didaktische Katalog kostet 30 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen