■ Kommentar
: Zwang zu neuen Wegen

Der AStA der Technischen Universität macht einer Idee aus dem Ruhrgebiet Beine: Studenten sollen zusammen mit ihren Einschreibegebühren ein billiges Semesterticket erwerben. Vorausgesetzt, genügend Studierende, die mit dem Auto zur Uni fahren, würden dann auf Bus und Bahn umsteigen. Kritikwürdig scheint nur der Zwang zu sein, mit dem jeder Student zum Kauf dieses Tickets verpflichtet wird – unabhängig davon, ob er unmittelbar an der Uni wohnt und das Ticket für den Weg zum Studienplatz möglicherweise gar nicht benötigt.

Aber selbst Verkehrsverwaltung und BVG scheinen mit der Durchsetzung eines Kaufzwangs nicht zwingend Probleme zu haben. Das haben sie der Öffentlichkeit bereits beim Jobticket gezeigt: Damit die Zielgruppe der Angestellten das Auto stehenläßt, muß der Arbeitgeber für alle Betriebszugehörigen das verbilligte Ticket erwerben. Würde die Spezial-Fahrkarte nicht für alle Arbeitnehmer erworben werden, ginge ihr auch der Sinn verloren: Diejenigen, die bereits die Umweltkarte abonniert haben, würden das billigere Jobticket nehmen, Autofahrer aber weiter Auto fahren. Niemand hätte gewonnen, die BVG dagegen Einnahmen verloren.

Zwang ist trotzdem ein denkbar schlechtes Mittel, wenn man überzeugen möchte. Selbstverständlich wäre es besser, Autofahrer ließen ihre Kiste aus Einsicht stehen. Doch die reale Entwicklung in dieser Stadt widerspricht dem Wunsch auf einen freiwilligen Verzicht, denn tatsächlich wird das Autofahren gefördert: Im Westteil der Stadt sollen Zigtausende von neuen Arbeitsplätzen im Zentrum, die benötigten Wohnungen aber am Stadtrand entstehen. Im Ostteil verschwindet das kulturelle Angebot zusammen mit den Dienstleistungswürfeln aus dem Mittelpunkt der Hochhausburgen. Die Wege in dieser Stadt werden länger, statt kürzer. In keiner anderen bundesdeutschen Stadt wächst der Stau auf der Straße in einem so atemberaubenden Tempo wie in Berlin – durch das Zusammenwachsen zweier Stadthälften und künftig auch durch die zahllosen Bauvorhaben. In keiner anderen Stadt ist deshalb die Chance so groß, den Torso einer gescheiterten Autopolitik auf dem Schrottplatz zu entsorgen und endlich Verkehrspolitik zu machen, die diesen Namen verdient.

Wenn Senat und Koalitionsfraktionen den Mut hätten, könnten Autofahrten auch anders als mit dem Kaufzwang eines Semester- und Jobtickets vermindert werden: Keine neuen Autobahnen, weg mit den alten – und Straßen endlich so sperren, daß mit Limousine und Lieferwagen zwar weiterhin in die Stadt, aber nicht mehr durch die Stadt gefahren werden kann. Doch solange den Politikern der Mumm fehlt, das Steuer herumzureißen und – im wahrsten Sinne des Wortes – neue Wege einzuschlagen, ist der Zwang zum Studententicket das kleinere Übel. Es bleibt allerdings zu befürchten, daß auch Semestertickets die Straßen nicht entscheidend entlasten werden. Wenn Abgeordnete und Senatoren dann immer noch zu feige sind, den Stau in der Politik aufzulösen, dann könnte noch folgendes helfen: Buszwang für alle. Dirk Wildt

Siehe Bericht auf Seite 22