Posse an der Elbe, Part 428

Das Drehbuch zum Boulevard-Stück um Dynamo Dresden schlägt nach dem Rücktritt von Präsident Ziegenbalg unglaubliche Kapriolen  ■ Von Thomas Winkler

Dresden (taz/dpa) – Seifenopern erfreuen sich weiterhin großer Beliebtheit – wenn auch seit dem Ende von „Dallas“ weniger im TV denn im richtigen Leben, innerhalb dessen es bekanntermaßen immer auch ein falsches gibt. Das Präsidium des einzigen ostdeutschen Fußball-Erstligisten 1.FC Dynamo Dresden bemüht sich schon seit einiger Zeit mit großem öffentlichen Erfolg, die drohenden Kürzungen im staatlichen Kultur-Haushalt durch die Inszenierung selbstverfaßter Boulevard-Stücke aufzufangen.

Dabei werden die oft bescheidenen produktionstechnischen Mittel mit großartigen Schauspielerleistungen ausgeglichen. Die Rolle des Bobby Ewing spielt in der undurchsichtigen Geschichte der Laiendarsteller Wolf-Rüdiger Ziegenbalg aus der Bierstadt Radebeul. Die Endlosserie begann in der Nachwendezeit, als dem eloquenten HiFi-Händler die Rolle als Präsident des mehrmaligen DDR-Meisters angetragen wurde. Anschließend wurden von den Drehbuchautoren fast sämtliche Register gezogen, die eine Seifenoper erst zum Vergnügen werden läßt. Außer Sex und Mord war so ziemlich alles enthalten: Mit Geld wurde in rauhen Massen jongliert. Mal ist bei Dynamo von mehr als 12 Millionen Mark Schulden die Rede, mal von weniger als 15, mal sind es „offiziell 13,7 Millionen“.

Die Möglichkeiten, den Schuldenberg abzubauen, verspielte Ziegenbalg bereits vor längerem, als er ohne juristische Beratung einen Vertrag mit der Saarbrücker Firma SORAD abschloß, der damit alle Rechte aus Werbeeinnahmen gehörten. Würde Dynamo den Vertrag kündigen wollen, wären 12,5 Millionen Mark Entschädigung fällig.

Der Präsident selbst wurde per Stasi-Verdacht und Bereicherungs-Vorwurf zusätzlich verunsichert, und sogar fußballspielende Genossen und die langwierige Aufdeckung ihrer geheimdienstlichen Tätigkeit konnten in die Handlung eingebaut werden. Ein Regie-Trick, der mit exotischen Orten auch noch neue Farbe in die Serie brachte. Der ehemalige Inoffizielle Mitarbeiter Torsten Gütschow wurde von der Besetzungsliste gestrichen und in die Türkei zu Galatasaray Istanbul entsorgt.

In der Rolle des ehrlich-markanten Ranch-Vorarbeiters und lange verleugneten Halbbruders Ray Krebbs sehen wir Trainer Klaus Sammer, der bisher für sportlichen Erfolg sorgte und den unverzichtbaren Sympathieträger neben einer Garde von Bösewichtern überzeugend mimte.

Richtig spannend wurde es dann ab Folge 326, als die Drehbuchautoren erkannten, daß ihnen noch ein wirklicher Dunkelmann mit undurchsichtigen Motiven fehlte. Der Bauunternehmer Rolf- Jürgen Otto wurde als J.R. verpflichtet und führte sich gleich mit einem Paukenschlag ein: Sein Schatzmeisteramt legte er bereits nach acht Tagen wieder nieder.

Drei Putschversuche hatte Präsident Ziegenbalg nach Kampfabstimmungen im Verein bereits überstanden und zuletzt wurde eine Jahreshauptversammlung tumultös und ergebnislos abgebrochen. Doch seine Schicksalsstunde nahte, denn man kann auch einen solchen Spannungsbogen nicht zu lange ausreizen. Und was wäre eine gute Endlosserie ohne einen Cliff Barnes? Mit dem Dresdner Stadt-Sportdezernenten Jürgen Löffler wurde eine großartige Besetzung für diese Rolle gefunden. Mit perfektem Timing versetzte er kurz vor dem Jahreswechsel Präsident Ziegenbalg in einem offenen Brief eine Breitseite: „Wie alle, die plötzlich Verantwortung in einer bisher ungewohnten demokratischen und sozialen Marktwirtschaft trugen, waren auch Sie von Fehlern nicht frei. Nunmehr werden rhetorische Begabung, das Geschick, Probleme auf Nebenschauplätze zu verlagern und damit Fans und Mitglieder für sich zu gewinnen, nicht mehr helfen können.“

Ziegenbalg wählte deshalb den im Drehbuch schon seit längerem vorgesehenen Abgang und trat an Sylvester persönlich beleidigt und weil er seiner Familie die Belastung nicht mehr länger zumuten wollte zurück. Prompt wurde er von noch prominenteren Mitspielern ersetzt, die sich um die neue Besetzung der Hauptrolle streiten. Der Sänger und Fernseh-Entertainer Gunther Emmerlich konnte für einen Part als Mitglied in einem eiligst einberufenen Rettungsgremium gewonnen werden und führte sich dort allein durch seine imposante Erscheinung vorzüglich ein. Ein echter Gewinn für die Serie.

Doch damit noch nicht genug. Die Kreativität der Autoren kannte keine Grenzen mehr. Geschickt bauten sie die bereits geknüpfte Verbindung in die Türkei aus und zauberten einen „Märchenprinzen“ aus dem Hut, der Dynamo retten will. Adnan Polat, Chef des Keramik-Konzerns „Ege Seramik“ und Fußball-Abteilungsleiter bei Galatasaray Istanbul, wurde gar eine Sprechrolle zugestanden: „Die Zeit ist noch nicht reif, das Präsidentenamt von Galatasaray zu übernehmen. Deshalb habe ich mir den ostdeutschen Klub ausgesucht. Wenn ich eine Maschinenfabrik in Dresden kaufe, werde ich automatisch zum Präsidenten von Dynamo.“

Aber im Moment steht J.R. vor der Machtübernahme. Ständig bringt sich der vor einiger Zeit zurückgetretene Schatzmeister Otto wieder ins Gespräch: „Retten kann Dynamo nur ein starker und kühler Kopf mit zusätzlicher Hilfe aus Wirtschaft und Industrie.“ Keine Frage, wessen Kopf Otto meint, aber wird er seine Rolle glaubhaft zuende spielen? Oder werden ihn seine Widersacher doch noch stürzen können?

Bleibt nur noch die Frage, wann ein anderer alter Seifenopern- Trick zur Anwendung gelangt. Denn Totgesagte leben bekanntermaßen länger: Wann kommt Ziegenbalg zurück? Wie sieht er nach seiner Gesichtsoperation aus? Hat er einen Hubschrauberabsturz über dem Dschungel überlebt? Wurde er mehrere Monate vermißt? Hat er im Ausland inzwischen ein märchenhaftes Vermögen angehäuft? (Fortsetzung folgt)