■ Wird Bosnien doch nach ethnischen Kriterien aufgeteilt?
: Proserbische Wende in Genf

Eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas nach ethnischen Kriterien komme nicht in Frage. Die von den bosnischen Serben vorgenommenen „ethnischen Säuberungen“ werde die internationale Staatengemeinschaft „niemals akzeptieren“. So tönten Klaus Kinkel und seine westlichen Außenministerkollegen noch am 16. Dezember bei ihrem Treffen im Rahmen der Genfer Konferenz zu Ex-Jugoslawien. Mit der Karte für eine Aufteilung Bosnien-Herzegowinas, die Cyrus Vance und David Owen, die beiden Konferenzvorsitzenden, die im Namen von UNO und EG und damit auch aller westlichen Staaten handeln, am Samstag präsentierten, wurden diese beiden Prinzipien nun auch ganz offiziell über den Haufen geworfen. Einmal abgesehen von den fatalen Signalen, die von diesem Vorgang für andere Konfliktgebiete ausgehen, insbesondere für Osteuropa und die Ex-Sowjetunion: die mehrheitlich von Muslimen gestellte Regierung von Präsident Izetbegović, die bislang immer auf die Bewahrung des — ohne jede Einschränkung — multiethnisch bewohnten Einheitsstaates Bosnien-Herzegowina gesetzt hat, sieht sich nun vor einem zusätzlichen Dilemma. Lehnt sie die Karte wegen der ihr zugrunde liegenden Aufteilungskriterien rundweg ab, steht sie als die Partei da, die die Genfer Konferenz scheitern ließ. Akzeptiert sie die Karte jedoch als Verhandlungsgrundlage, anerkennt sie deren Kriterien und könnte maximal noch einige Grenzkorrekturen zugunsten der bosnischen Muslime herausschlagen.

Es gibt Indizien dafür, daß zumindest Owen mit der Vorlage dieser Karte auch seine Strategie verfolgt, die Muslime in die Sündenbockrolle zu drängen. So erklärt er seit einiger Zeit immer wieder, die Muslime und die Regierung Izetbegović würden zunehmend zum Hindernis für eine Verhandlungslösung des Konflikts. Es ist möglich, daß diese Interpretation in den nächsten Wochen in wachsendem Maße die Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit bestimmen wird. Denn sollten sich die Muslime angesichts der Lage am Genfer Verhandlungstisch zu dem verzweifelten Versuch entscheiden, verlorene Territorien durch militärische Großoffensiven zurückzuerobern, würden sie bald als diejenigen gelten, an denen ein Waffenstillstand scheitert. Die bosnischen Serben hingegen könnten sich auf der Basis vollzogener Geländegewinne und Vertreibungen als diejenigen profilieren, die ein Ende des Krieges wollen. Ein solcher Wandel in der Wahrnehmung könnte nicht zuletzt auch Einfluß auf die Diskussion über militärische Interventionsmaßnahmen haben. Vielleicht beschließt der UNO-Sicherheitsrat ja in einigen Wochen derartige Maßnahmen mit dem Ziel, die Kriegshandlungen der bosnischen Regierungstruppen zu stoppen. Belgrad und die bosnischen Serben hätten dagegen sicherlich keine Einwände. Andreas Zumach, Genf