Russischer Atommüll landet im Meer

Jährlich werden mindestens 3.000 Kubikmeter Atomabfall im Nordmeer versenkt/ Die Regierung in Moskau will keine Zusagen über ein Ende der Entsorgungspraxis geben  ■ Aus Oslo Reinhard Wolff

Das russische Militär versenkt laufend Atommüll im Eismeer — mitten in wichtigen Fischfanggebieten. Norwegische Militärflugzeuge hatten das Vorgehen schon lange beobachtet. Vor kurzem erhielt der norwegische Verteidigungsminister Hans Jörgen Holst bei seinem Besuch in Moskau die offizielle Bestätigung von seinem russischen Amtskollegen Gratschow. Dieses Eingeständnis ist die erste offizielle Bestätigung Moskaus, daß die Versenkung großer Mengen Atommülls nicht der Vergangenheit angehört. Nach Angaben der russischen Regierung gehen jährlich 1.000 Kubikmeter flüssiger und 2.000 Kubikmeter fester Atommüll über Bord — sowohl vor der russischen als auch vor der norwegischen Nordküste. In Oslo werden diese Zahlen als zu niedrig angesehen: Die norwegische Luftaufklärung beobachtet das Strahlenmüllschiff „Amur“, das regelmäßig in den Gewässern kreuzt und nach Ansicht der Norweger wesentlich größere Mengen ins Meer „entsorgt“.

Das russische Verteidigungsministerium hat Holst gegenüber auch im wesentlichen die aufgrund der Recherchen von Greenpeace und der norwegischen Umweltschutzorganisation „Bellona“ bekannt gewordenen Zahlen über die Versenkung von Atomreaktoren bestätigt: Zwischen 1965 und 1981 seien 13 Atomreaktoren ins Meer versenkt worden, in den sechziger Jahren drei ganze Atom- U-Boote. Erstmals ist, so der Moskauer Korrespondent der Osloer Aftenposten, von Moskau auch bekannt gemacht worden, daß nicht nur im Nordmeer, sondern auch im Japanischen Meer, zwischen der Marinebasis Wladiwostok und Japan Atomreaktoren im Meer versenkt worden seien.

Aber ein Ende der lebensbedrohlichen Praxis ist nicht in Sicht. Nach Informationen von norwegischen JournalistInnen, die Verteidigungsminister Holst auf seinem Staatsbesuch in Rußland begleiteten, hat Verteidigungsminister Gratschow keinen Termin genannt, bis wann das russische Militär auf die Versenkung von Atommüll verzichten werde: Man hätte „Probleme damit“, so der russische Verteidigungsminister. So mußte sein norwegischer Amtskollege lediglich mit der Zusage im Gepäck heimreisen, daß die Russen „verstärkt an einer Lösung arbeiten“.

Erst im November war bekannt geworden, daß der norwegischen Küste durch ein 1989 gesunkenes sowjetisches Atom-U-Boot eine Katastrophe droht. Experten hatten bei einer Untersuchung der „Komsomolenz“ festgestellt, daß aus dem in 2.000 Meter Tiefe liegenden Wrack bereits radioaktives Cäsium 137 ausgetreten sei. Noch weitaus größer ist die Gefahr, die von den Atomsprengköpfen an Bord des U-Boots ausgeht. Die Experten fürchten, daß daraus in etwa zwei Jahren Plutonium austreten werde — schon wenige Gramm davon können riesige Wassermengen lebensgefährlich verseuchen.

Bei ihrer Atommüllpolitik muß sich die Regierung in Moskau gar nicht schlecht vorkommen: eine Änderung der Londoner Konvention ist frühestens 1994 zu erwarten. Erst dann sollen die Verhandlungen über die Begrenzung oder das Verbot von Einleitungen atomarer oder sonstwie giftiger Stoffe ins Meer abgeschlossen sein. Insbesondere Dänemark, Island und Norwegen drängen auf eine vollständige Unterbindung dieser Praxis. Auf der Umweltkonferenz in Rio war eine allgemeine Absichtserklärung verabschiedet worden, die in diese Richtung zielte. Aber im November in London mochten die meisten der siebzig Ländervertreter sich dann bei einer Konferenz speziell zu dem Thema nicht zu konkreten Beschlüssen durchringen.