U-Bahnhöfe: Für Obdachlose kein Platz

■ BVG will trotz der Kälte die Bahnhöfe nachts nicht öffnen/ Sozialsenatorin: Alles getan/ Obdachlose fahren S-Bahn

Berlin. Trotz nächtlicher Tiefsttemperaturen von minus 16 Grad bleiben die U-Bahnhöfe außerhalb der Betriebszeiten für die Obdachlosen als Zufluchtsstätte verschlossen. „Es ist nicht Aufgabe der BVG, die sozialen Probleme der Stadt zu lösen“, entrüstete sich gestern der Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe, Wolfgang Göbel. Der Sprecher der Sozialverwaltung, Wolfgang Zügel, erklärte, man bedürfe der Bahnhöfe nicht, weil den Obdachlosen genügend Notunterkünfte zur Verfügung stünden. Zudem sei es „menschenunwürdig“, sie an die U-Bahnhöfe zu verweisen.

Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) teilte mit, daß ihre Behörde bereits im Herbst mit der sogenannten „Kältehilfe“ Vorsorge für den Winter getroffen habe. Die 23 Bezirke der Stadt unterhielten Obdachloseneinrichtungen. Darüber hinaus hätten Kirchen und die Wohlfahrtsverbände Notunterkünfte eingerichtet. Zusätzlich zu den zwölf ganztägig geöffneten Tagesstätten seien im Rahmen der „Kältehilfe“ weitere elf Wärmestuben eröffnet worden, in denen die Obdachlosen mit Getränken und einer warmen Mahlzeit versorgt würden. Die BVG habe zugesagt, die Obdachlosen in den Bahnhöfen an die entsprechenden Einrichtungen zu verweisen. Ein Informationsblatt mit den Anschriften sei auf jeder Station erhältlich.

Von den schätzungsweise weit über 20.000 Wohnungslosen leben zwischen 3.000 bis 6.000 Obdachlose ständig auf der Straße. Während diese Menschen im Sommer meist in Parks übernachten, versuchen sie im Winter ein halbwegs warmes Plätzchen in einem Toilettenhäuschen oder Keller zu finden. Doch das kann tödlich enden. Am letzten Sonntag starb ein etwa 60jähriger Stadtstreicher in einem Keller in Mitte an Unterkühlung. Er ist bereits das dritte Todesopfer in diesem Winter. Ein 20jähriger junger Mann konnte dem Tod in der Neujahrsnacht von Freitag auf Samstag nur deshalb von der Schippe springen, weil seine Kumpels ihn noch rechtzeitig ins Krankenhaus schafften. Der junge Mann hatte sich bei minus 14 Grad auf einer Parkbank schlafen gelegt.

Die Läusepensionen sind bei manchen Obdachlosen total unbeliebt. „Da mußt du alles, was du hast, festnageln, sonst ist's am nächsten Morgen weg“, berichtete gestern ein 35jähriger arbeitsloser Betonbauer aus Cottbus. Er zieht die S-Bahn der Läusepension vor und ist damit keineswegs ein Einzelfall. Insbesondere die langen Strecken Potsdam–Erkner und Strausberg Nord–Charlottenburg mit Fahrzeiten über einer Stunde stehen bei den Obdachlosen hoch im Kurs.

Ein 36jähriger arbeitsloser Schlosser aus Bremen erzählte, daß er bereits den dritten Winter in der Berliner S-Bahn verbringt. Seine wichtigste Habe hat er in einem Schließfach am Zoo deponiert, waschen geht er sich in einer der Obdachloseneinrichtungen. Auf eine eigene Wohnung sei er gar nicht erpicht, sagt er und zeigt auf seine Marken im Wert von 310 Mark für ein BVG-Jahresticket: „So billig kannst doch keine Wohnung haben.“ Plutonia Plarre