Magdeburger Stasi-Posträuber verurteilt

■ Haftstrafen für vier Angeklagte/ Befehlsnotstand oder nicht?/ Revision angekündigt

Magdeburg (taz) – Sie haben Telefone abgehört und Briefe gleich zu Tausenden gefleddert. Sie, das waren die Damen und Herren von der Firma Horch und Guck, im DDR-Bürokratendeutsch auch Ministerium für Staatssicherheit genannt. Vier leitende Offiziere der Stasi-Bezirksverwaltung Magdeburg erhielten gestern die Quittung für ihre übermäßige Neugier. Das Magdeburger Landgericht schickte den ehemaligen Chef der MfS-Bezirksverwaltung für zwei Jahre und drei Monate hinter Gitter, drei weitere leitende Offiziere erhielten Bewährungsstrafen zwischen acht Monaten und einem Jahr und vier Monaten.

Die Richter befanden die Angeklagten der Amtsanmaßung, des Verwahrungsbruchs und der Beihilfe zur Unterschlagung für schuldig. Sie haben nach der Überzeigung des Gerichts zwischen 1985 und 1989 Untergebenen befohlen, Devisen aus Postsendungen zu nehmen und Telefongespräche zu überwachen. In dieser Zeit seien täglich rund 2.000 Briefe geöffnet worden, nahezu 386.000 Mark an Devisen beschlagnahmt und dem Staat zugeführt worden.

Mit ihren Urteilen gingen die Richter in fast allen Fällen über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Das Post- und das Fernmeldegeheimnis sei auch in der DDR besonders geschützt gewesen, begründete das Gericht seinen Schuldspruch. Ausnahmen seien eng begrenzt gewesen, aber auch dann wäre für die Post- und Telefonkontrolle eine staatsanwaltschaftliche Anordnung und eine richterliche Genehmigung notwendig gewesen. So was hielt die Stasi natürlich nicht für erforderlich. Als MfS-Mitglieder, so argumentierten die Angeklagten, seien sie Teil einer militärisch geführten Organisation und damit natürlich an das Prinzip von Befehl und Gehorsam gebunden gewesen. Alle strafrechtliche Verantwortung wiesen sie weit von sich. Immer wieder beriefen sie sich auf das Statut des Ministeriums für Staatssicherheit und die entsprechenden Befehle und Dienstanweisungen aus der Berliner Zentrale. Aber die Richter winkten ab. „Diese Bestimmungen des MfS-Statuts waren nicht verbindlich, weil sie gegen die DDR-Verfassung und gegen rechtliche Bestimmungen der DDR verstießen“, argumentierte der Vorsitzende Richter Harald Findeisen. Und Befehle hätten die Offiziere durchaus auch ohne Gefahr für Leib und Leben verweigern können, fand das Gericht. „Sie hätten nur den Dienst quittieren und auf ihre hohen Bezüge und sonstigen Privilegien verzichten müssen“, sagte Findeisen.

Mag sein, dennoch ist fraglich, ob die Urteile vor dem Bundesgerichtshof Bestand haben werden. Alle Angeklagten haben bereits Revision angekündigt. Und nicht nur sie und ihre Verteidiger werten das Verfahren als eindeutig politischen Prozeß. „Sollte das Urteil höchstrichterlich bestätigt werden, wird das natürlich erhebliche Bedeutung für die Strafverfolgung von Regierungskriminalität und staatlichem Unrecht in der ehemaligen DDR haben“, kommentierte Oberstaatsanwalt Wolfram Klein den Richterspruch. Klein muß es wissen, denn er ist Mitglied der Ermittlungsgruppe Regierungskriminalität. In seinem Plädoyer hatte er argumentiert: „Bewährungsstrafen für diese Angeklagten würden das Vertrauen der Bürger der neuen Länder in den Rechtsstaat erschüttern.“

Jetzt sind die BGH-Richter am Zuge. Und zur Entscheidungshilfe geben ihnen die Verteidiger sicher auch zwei Beschlüsse der Landgerichte in Dresden und Leipzig zu den Akten. Die eröffneten nämlich gar nicht erst die Hauptverfahren gegen Ex-Stasi-Offiziere, die wegen der gleichen Taten angeklagt waren wie die jetzt in Magdeburg Verurteilten. Begründung der Richter in Dresden und Leipzig: Nach dem Einigungsvertrag kann nur bestraft werden, was auch nach dem Strafgesetzbuch der DDR schon strafbar war. Und die eigene flächendeckende Post- und Telefonkontrolle unter Strafe zu stellen, hatten die DDR-Machthaber schlichtweg vergessen. Eberhard Löblich