Die roten Fahnen weichen der Reklame

■ Dirk Renckhoff zeigt fotografische Blicke auf den chinesischen Alltag in der Staatlichen Landesbildstelle

zeigt fotografische Blicke auf den chinesischen Alltag in der Staatlichen Landesbildstelle

„Die Volksrepublik China im Innersten wirklich zu verstehen, ist ein wahrhaft schwieriges Unterfangen“, bekennt der in Hamburg lebende freie Fotograf Dirk Renckhoff freimütig. Obwohl er das Land schon dreimal - 1976, 1980 und 1989 - jeweils für einige Monate bereiste, beschleicht ihn immer noch das leise Gefühl, als habe er häufig nur die Oberfläche kennengelernt.

Die gängigen europäischen Assoziationen zum Reich der Mitte entlarven sich des öfteren als unstimmig, obwohl sich andererseits auch gewisse Klischees bestätigen. Renckhoff gibt dafür ein Beispiel: „Zwar bin ich der sprichwörtlichen Zurückhaltung begegnet, doch habe ich häufig auch eine erfrischend derb-direkte Offenheit erlebt.“ Menschen in einem Riesenland, das sich als zu komplex erweist, um in simplifizierende Schablonen gepreßt zu werden - wie es Europäer aber seit jeher gerne tun.

Fasziniert von der Vielschichtigkeit fernöstlicher Wirklichkeit, hat Renckhoff einen fotografischen Blick auf den chinesischen Alltag gewagt, der jetzt in der Fotogalerie der Hamburger Landesbildstelle zu sehen ist. Ihm ist dabei eine bemerkenswert konzentrierte Sicht auf alltägliche Situationen im Leben der Chinesen gelungen. Außer Frage, in Renckhoffs Schwarzweiß-Arbeiten stehen die Menschen im Mittelpunkt: Porträts von Straßenmusikern, Schattenboxern, Mönchen, von spielenden, dösenden, Eis am Stiel schleckenden Kindern, von vom Leben gegerbten Alten, Fahrradwächtern und Schiffern und kohleschippenden Arbeitern prägen die Ausstellung. Markante Gesichter, hellwach und selbstbewußt, ziehen den Betrachter in ihren Bann. Manche Bilder tauchen in anmutige Selbstversunkenheit.

So entstand ein harmonisches Gesamtbild, das so gar nicht mit der politischen Repression, die über dem Land lag und weiterhin liegt, übereinstimmen mag. Der Alltag zeigt sich vordergründig vielmehr von seiner geschäftigen, quirligen und apolitischen Seite. Sozialistische Parolen, Heere von Blaumützen wie noch zu Zeiten Maos im Jahre 1976 sind fast vollends dem Diktat des modischen Geschmacks und der Reklame gewichen. So sind junge Frauen aus dem südlichen Kanton heute nicht anders gekleidet als die Chinesinnen im kapitalistischen Honkong: Minirock und ein kräftiger Lippenstift gehören zum selbstverständlichen Outfit. Das frühere strenge Revolutionskolorit ist dagegen vollkommen perdu.

Obwohl Renckhoff 1976, demTodesjahr Maos, und 1989, zu Zei-

ten des Massakers auf dem Tian-

1men-Platz, in entscheidenden Phasen chinesischer Zeitgeschichte im Land weilte, hat er den Eindruck, daß die Chinesen selbst diese dramatischen Wendemarken chinesischer Politik nicht als so tiefgrei-

fend empfunden haben wie das

Ausland sie immer wieder interpre-

1tiert. Die Kontinuität einer schrittweisen Liberalsierung der Wirtschaft ist weitaus bestimmender, schätzt der 47jährige, vielgereiste Fotograf die gesellschaftliche Entwicklung der letzten zwei Jahr-

zehnte ein.

Noch bis Ende Januar sind die stil-

1len Momente des Milliardenvolks, das trotz Mao und Moderne immer noch in erster Linie konfuzianisch ist, zu betrachten.

Dierk Jensen

Landesbildstelle Kieler Straße 171, Mo - Fr 8.00 - 16.00 Uhr, Di - 20.00 Uhr, Sa 10.00 - 15.00 Uhr