Lohnpfändungen nehmen zu

■ Neuland: Angestelltenkammer erforscht Sozialleistungen der Betriebe

Betriebliche Sozialpolitik ist Niemandsland: zumindest was deren systematische Erfassung und Beobachtung anbelangt. Diese Erkenntnis hat Armin Mittelstädt, Referent für Sozialpolitik an der Angestelltenkammer, gewonnen. Weder Gewerkschaften noch Wissenschaftler hätten sich überbetrieblich bisher damit beschäftigt, welche Sozialleistungen Firmen insgesamt anbieten und welche Bedeutung sie für die ArbeitnehmerInnen haben. Solche Leistungen reichen von der Alterversorgung, über den betriebsärztlichen Dienst, Kinderbetreuung, Weihnachtsgeld, Familienzuschläge bis hin zu Dienstwohnungen, verbilligtem Warenverkauf und diversen Zuschüssen.

Mit einer Umfrage will die Angestelltenkammer betrieblicher Sozialpolitik jetzt auf die Spur kommen: Sie hat sämtliche Betriebs- und Personalräte in Bremen angeschrieben, 1.200 spezielle Fragebögen verschickt und 300 bereits zurückerhalten. Eine erste Auswertung wird allerdings erst in wenigen Wochen vorliegen.

Grundannahme der Auswertung: Betriebliche Sozialleistungen sind konjunkturabhängig. In Zeiten drohenden Sozialabbaus sind sie nötiger denn je, aber: sie werden gerade dann abgebaut, wenn sie am dringendsten gebraucht werden. Denn diese Sozialleistungen werden unabhängig von gesetzlichen oder tariflichen Verpflichtungen gewährt. Deshalb fragt die Angestelltenkammer auch nach den Rechtsgrundlagen, der jeweiligen Leistungen.

Beispiel:

Schuldnerberatung

Beratung und Hilfe bei Ver-und Überschuldung werden auch in den Betrieben zunehmend wichtiger, bislang aber kaum als betriebliche Sozialleistung begriffen. Allein bei Klöckner ist in der Lohn- und Gehaltsabteilung eine Mitarbeiterin fast ausschließlich mit der Bearbeitung von Lohn-und Gehaltspfändungen beschäftigt. Die senatsgeförderte Koordinationsstelle für Schuldenberatung in Bremen hat Geschäftsführung und Betriebsrat der Hütte gerade aufgefordert, im Falle von Massenentlassungen zwei befristete

Wenn der Ofen ausgeht, ist guter Rat teuerFoto: J.O.

Stellen für Schuldenberater einzurichten. Aus anderen Massenentlassungen habe man gelernt, daß bei den betroffenen ArbeitnehmerInnen in der Folge häufig „gravierende finanzielle Probleme“ aufträten: langfristige Kreditverpflichtungen seien zu bedienen, Ratenkäufe abzuzahlen, Versicherungsbeiträge zu leisten. In all diesen Fällen sei guter Rat „teuer und wichtig“, um eine Überschul

dung zu verhindern. Eine präventive Beratung hätte dagegen den Vorteil, die Vermittlungschancen der betroffenen ArbeitnehmerInnen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.

Bisher verweist Klöckner wie alle anderen Bremer Großbetriebe seine überschuldeten Beschäftigten an die Schuldnerberater anderer Träger. Bei kurzfristig auftretenden Schwierigkeiten (Mietschulden, plötzlichen Reparaturkosten und ähnlichem) leistete die Hütte bisher unbürokratische Lohnvorauszahlungen. Doch angesichts des laufenden Vergleichsverfahrens werden solche Hilfen jetzt „restriktiv“ gehandhabt, berichtet Klöckners Personaldirektor Fritsche. Die Kurzarbeit hat noch zu keinen Katastrophen geführt: Sie wurde bisher durch Urlaubstage aufgefangen. ra