Wie wesentlich ist Abchasien?

■ Nach neuen Kämpfen: Georgien will UNO-Truppen

Moskau (taz) – Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse hat sich erneut an die UNO mit der Bitte gewandt, die Lage in der abtrünnigen kleinen Republik Abchasien im Sicherheitsrat zu beraten. Schon einmal im vergangenen Herbst weilten internationale Beobachter in der zwischen Georgiern und Abchasen hart umkämpften Schwarzmeerregion. Die Erkundungstour brachte keine greifbaren Ergebnisse, die blutigen Auseinandersetzungen hielten an. In den letzten Tagen hat der Konflikt wieder an Schärfe zugenommen: Bei georgischen Luftangriffen auf abchasische Ortschaften sind nach abchasischen Angaben fünf Menschen ums Leben gekommen. Im Bezirk Oschamtschira starben bei einem abchasischen Angriff vier georgische Soldaten.

Gestern nacht versuchten abchasische Einheiten den Übergang über den Fluß Gumista am Stadtrand der abchasischen Hauptstadt Suchumi zu erzwingen, der sich in georgischer Hand befindet. Die Offensive, bei der fünfzehn Abchasen gefallen sein sollen, wurde zurückgeschlagen. Sie war wohl die abchasische Antwort auf Schewardnadses Appell, in der Region Friedenstruppen der UNO einzusetzen.

In einer gesonderten Note bat Schewardnadse UN-Generalsekretär Butros Ghali, auf die Nachbarstaaten um Neutralität einzuwirken – ein eindeutiger Hinweis auf Rußland, Georgiens mächtigsten Nachbarn und ehemaligen Kolonialherrn. Seit langem beschuldigt Tbilissi Moskau, den Konflikt zwischen Georgien und der muslimischen Minderheit in Abchasien zu schüren. Wiederholt warf der kleine Kaukasusstaat Rußland vor, mit den noch auf georgischem Territorium stationierten russischen Truppen die abchasischen Separatisten zu unterstützen. Mehrfach hatten im Laufe der letzten Wochen Georgier russische Militärflugzeuge abgeschossen, die nach Angaben russischer Militärs lediglich in humanitärer Mission unterwegs waren. Offiziell steht Moskau zur Souveränität Georgiens und hält sich aus dem Konflikt heraus; dennoch rechtfertigte Jelzin noch im Herbst den Absprung von GUS-Fallschirmjägern in Abchasien, um eine lebenswichtige Eisenbahnlinie zu sichern.

Daß in Moskau eine Reihe reaktionärer Militärs und Altkommunisten, die den Verlust des Imperiums nicht verwinden können, an dem Konflikt Interesse hegen, kann als ziemlich sicher gelten. Der Präsident Abchasiens, Ardsinba, gilt als kommunistischer Hardliner: Er unterhält beste Kontakte zu national-patriotischen und chauvinistischen Kreisen in Moskau. Zu seinen Vertrauenspersonen zählt Anatoli Lukjanow, der bis vor kurzem im Gefängnis saß wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung am Putsch gegen Gorbatschow. Nach seiner Entlassung schmetterte der alte Kämpe: „Die UdSSR lebte, sie lebt und wird immer leben!“ Klaus-Helge Donath