In Gambia verschwindet der Wald

Bevölkerung verbrennt ihre eigene Lebensgrundlage/ Die Wüste kommt dem kleinsten Land Afrikas immer näher – unaufhaltsam?  ■ Aus Fajara Ralf Köpke

„Glauben Sie mir, als Förster können Sie manchmal verzweifeln.“ Die Besorgnis in der Stimme von Alois Kasper ist nicht zu überhören. Die schwarzen Wolken, die er am Horizont entdeckt hat, veranlassen ihn, die Geschwindigkeit seines Jeeps zu erhöhen: „Hoffentlich brennt es nicht in unserer Schonung.“ Der promovierte Tropenwaldexperte arbeitet für ein Forstprojekt der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Gambia, dem kleinsten Staat Afrikas. Zehn Minuten später läßt seine Anspannung nach. Der Wind steht günstig und treibt das Feuer von der Anpflanzung weg. Warum die Flammen entstanden sind, darüber kann Alois Kasper nur spekulieren: „Vielleicht wollten Kinder Tiere jagen oder Bienen ausräuchern.“

Brände wie dieser gehören in der früheren englischen Kolonie zum Alltag. Waren vor rund 40 Jahren noch knapp 30 Prozent des Zwergstaates, dessen Fläche gerade einmal halb so groß ist wie die des Bundeslandes Hessen, mit Wald bedeckt, so sind es heute noch sechs Prozent. Nicht nur die traditionelle Brandrodung hat dazu geführt; viele Feuer waren auch politisch motiviert, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Aus Wut auf die Regierung in der Hauptstadt Banjul, von der sie sich oft genug vernachlässigt fühlte, griff die Landbevölkerung zum Streichholz. „Es ist egal, warum die Leute hier die Feuer legen. In letzter Konsequenz brennen sie aus Unkenntnis ihre eigene Lebensgrundlage ab“, sagt Waldexperte Kasper.

Die Folgen des Raubbaus machen sich klimatisch bemerkbar: Die Ernteerträge werden angesichts der geringeren Regenhäufigkeit und -menge immer karger. Um die Ernteausfälle zu kompensieren, reagieren die Bauern mit einer Ausweitung ihrer Anbauflächen. „Beim hier üblichen Wanderfeldbau verkürzt sich so die Zeit der Brache immer mehr, die Zeit also, in der sich der Wald regenerieren könnte“, erklärt Alois Kasper das Dilemma.

Seit Beginn der achtziger Jahre versucht die GTZ mit dem Gambian-German-Forestry-Project (GGFP), den noch vorhandenen Wald zu retten. Vielen Einheimischen werde allmählich der Wert des Waldes bewußt, glaubt Dominique Reb, der German Team Leader des Forstprojektes: „Das Verschwinden der Fächerpalme hat so manchem die Augen geöffnet.“ Deren hartes Holz nutzten die Gambier seit Urzeiten beim Bau ihrer Hütten für die Dachkonstruktion. Nachdem die letzten Fächerpalmen von der Regierung im vorletzten Jahr unter Schutz gestellt worden sind, muß das Bauholz aus Guinea-Bissau importiert werden – zu Preisen, die für gambische Landbauer unerschwinglich sind.

Nur ein forcierter Bewußtseinswandel kann die Reste des Tropenwaldes in Gambia retten. Wie sehr die Zeit drängt, zeigt ein farbiges Satellitenfoto, das im Eingangsbereich des GGFP-Headquarters in Fajara hängt. „Wir stehen hier am Gambia River mit dem Rücken zur Wüste“, meint Dominique Reeb, als er auf die unübersehbaren gelben Flächen zeigt. Die Sahelzone im Norden des benachbarten Senegals weite sich ständig aus. Die GTZ mußte dort bereits ein langjähriges Wiederaufforstungsprojekt aufgeben. „Es ist nicht vermessen zu sagen, daß sich in Gambia die ökologische Zukunft Westafrikas entscheidet.“ Einen Weg, um die weitere Desertifikation (Verwüstung) menschlicher Lebensgrundlagen) zu stoppen, hoffen Reeb und seine Mitarbeiter mit der Naturwaldbewirtschaftung gefunden zu haben. Sie betreuen sieben der insgesamt 66 staatlichen Forest Parks in Gambia. Diese Reservate wurden erst einmal eingezäunt, mit Feuerschutzschneisen versehen und einer gründlichen Bestandsaufnahme unterzogen. Danach legten die GGFP-Mitarbeiter fest, inwieweit jeder Park genutzt, durchgeforstet oder mit einheimischen Bäumen (vor allem Mahagoni) wiederaufgeforstet werden sollte. Im Gegensatz zu anderen Entwicklungshilfeprojekten haben die bundesdeutschen Forstexperten bewußt darauf verzichtet, Plantagen mit zwar schnellwachsenden, aber ökologisch problematischen Baum-Monokulturen wie der indischen Gmelina anzupflanzen.

Bewirtschaftung des Naturwaldes heißt vor allem die Nutzung des bisher ungenutzten Totholzes. Im Katilenge Forest in der Nähe des Dorfes Kafuta betreibt das GGFP deshalb ein Sägewerk, in dem dieses noch gut nutzbare, zum Teil sehr edle Holz wie Rosenholz oder Mahagoni verarbeitet und verkauft wird. Mit den Einnahmen für die hergestellten Möbel oder Bretter kann das Projekt, das immerhin 250 Personen Arbeit verschafft, wirtschaftlich arbeiten, eine Seltenheit bei Entwicklungshilfeprojekten, wie Alois Kasper betont. Wichtig ist ihm, daß die Einheimischen den Wald und das Holz mit anderen Augen sehen – als etwas Erhaltens- und Schützenswertes.

Dank der neuen Arbeitsplätze konnte die Landflucht in Kafuta gestoppt werden: „Das ist das einzige Dorf hier in der Umgebung, in dem die Männer nicht in Banjul ihr Geld verdienen müssen.“ Wie der Umweltgipfel in Rio de Janeiro zeigte, sind sich viele Forstexperten darin einig, daß nur mit der Naturwaldbewirtschaftung die weitere Zerstörung der Tropenwälder gestoppt werden kann. Noch wird allerdings so etwas wie der Königsweg gesucht, wie gleichzeitig bei nachhaltiger Nutzung des Waldes dessen Abholzen verhindert werden kann.

Der von der GTZ in Gambia eingeschlagene Weg hat auf jeden Fall die Regierung in Banjul überzeugt. Sie plant, weitere 10.000 Hektar Wald nach dem GGFP- Muster bewirtschaften zu lassen. Im gambischen Umweltministerium setzt man auch große Hoffnungen auf eine neue GGFP-Strategie: das Gemeindewald-Projekt. „Laut Gesetz gehören alle Bäume dem Staat“, erklärt GGFP-Chef Reeb die Ausgangssituation, „was dazu geführt hat, daß sich niemand der Einheimischen für die Wälder verantwortlich fühlt.“ In Brefet, 65 Kilometer östlich der Hauptstadt Banjul, liegen nun Schutz, Pflege und vor allem die Nutzung des Waldes, wie der Verkauf von Brennholz seit dem letzten Jahr bei den Dorfbewohnern.

„Ohne die Einbindung der Bevölkerung ist der Erhalt des Waldes nicht zu schaffen“, so Reeb. Die bisherigen Erfahrungen mit dem „Community forestry project“ haben seine Erwartungen übertroffen, der Gemeindewald in Brefet ist weiter intakt. Ob und inwieweit die dort gemachten Erfahrungen auf andere Dörfer übertragbar seien, könne er noch nicht sagen: „Das Gemeindewaldprojekt ist unsere große Hoffnung. Viel Zeit haben wir nicht mehr, um neue Wege auszuprobieren.“ Noch besitzen die Gambier intakte Waldflächen, doch jedes neue Feuer verkleinert deren Überlebenschance.