Grüne GesinnungspolizistInnen im Einsatz

NRW: Grüne Jugendpolitikerin soll von der eigenen Landtagsfraktion abgestraft werden/ Linke wittern „reaktionäres Gedankengut“/ Hat emanzipatorische Erziehung versagt?  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Für den „aufrechten Gang“ verleihen die nordrhein-westfälischen Grünen regelmäßig einen Preis. Ausgezeichnet wurde damit unter anderem der unbeugsame Bonner Finanzbeamte Klaus Förster, der durch seine Aufrichtigkeit, Nachdenklichkeit und Zivilcourage wesentlich zur Aufdeckung der Parteispendenaffäre beitrug. Des Lobes wert sind solche Tugenden den nordrhein-wesfälischen Grünen indes nicht in jedem Fall. Wer innerparteilich den Pfad der linksgrünen Tugend verläßt, wer „Aufrichtigkeit und Nachdenklichkeit“ beweist, wird nach den Erfahrungen der grünen Landtagsabgeordneten Beate Scheffler nach wie vor regelrecht abgestraft: „Wer sich nicht fügt, es wagt, auch einen eigenen Standpunkt zu vertreten, wird in der Partei denunziert und gedemütigt.“

Weil Scheffler in einem Diskussionsbeitrag den Werteverfall und die Desorientierung bei Jugendlichen auch als eine mögliche Folge von antiautoritärer Erziehung angesprochen hatte, zog sie den geballten Zorn der Fraktionslinken auf sich. Sie halte die „emanzipatorische Erziehung nach wie vor für richtig“, hatte Scheffler in dem Beitrag zur Halbzeitbilanz der Fraktion formuliert, aber „wir haben unsere Erziehungsziele nicht erreicht. Statt der mündigen, sozial und ökologisch engagierten, politisch motivierten Jugend hat unsere Erziehung eine Spezies hervorgebracht, die zum überwiegenden Teil egozentrisch, konsumorientiert und im schlimmsten Falle sogar gewalttätig und fremdenfeindlich ist. Was also ist schief gelaufen“, fragt die beurlaubte Lehrerin und Mutter dreier Kinder. Daß rechtsradikale Gruppen bei Jugendlichen auf so großen Zuspruch träfen, mache sie „ratlos“.

Wochenlang erfolgte auf diesen Beitrag keinerlei Reaktion. Erst als der CDU-Fraktionschef Helmut Linssen Mitte Dezember die Grüne im Landtagsplenum quasi als Kronzeugin gegen den gesamten Ansatz der 68er Pädagogengeneration in Anspruch nahm und von der „systematischen Zerstörungsarbeit an der Jugend“ durch die „antiautoritäre Erziehung“ sprach, schrien die Linken der Fraktion auf. Roland Appel, einer ihrer Wortführer, hielt seiner Kollegin in einem Telefongespräch vor, mit ihrem Beitrag „voll in die Scheiße gegriffen“ zu haben. Ihr Beitrag, so zitierte der WDR Appel, sei „dumm, unzutreffend, wissenschaftlich und politisch falsch“. In einem Brief an Scheffler sprach Appel gestern davon, er sei „sinnentstellend und falsch“ zitiert worden und werde sich dafür einsetzen, daß Scheffler ihre Meinung innerhalb der Fraktion frei vertreten könne. Appels FraktionskolegInnen Brigitte Schumann, Marianne Hürten, Daniel Kreutz, und Manfred Busch verlangen dagegen eine klare Distanzierung.

In einer schriftlichen Erklärung fordern sie die Landtagsfraktion und den Parteirat auf, „öffentlich die von Beate Scheffler aufgestellten Behauptungen zurückzuweisen“. Es handle sich bei Schefflers Artikel nicht um einen kontroversen Diskussionsbeitrag, „sondern schlicht um groben und gefährlichen politischen Unfug“. Ihre Vorwürfe seien „völlig unhaltbar und eine Beleidigung der ganzen grün- alternativen Lehrer- und Eltern- Generation“.

Den linken und grünen Lehrerinnen und Lehrern stellen die vier ParlamentarierInnen einen blütenweißen Persilschein aus. Verantwortlich für die zunehmende Gewaltbereitschaft sei „das Wiederaufflammen des Elitedenkens und des Leistungsdrucks im Gefolge schwarzer Politik“ und eine „unverantwortliche Sozialpolitik“. Hinzu komme, daß sich die realexistierende Schule in der Praxis einer emanzipatorischen Erziehung verweigert habe.

Gut und Böse so fein säuberlich getrennt, darin liegt für Scheffler ein Teil des Übels: „Die Jugendlichen von heute sind unsere Kinder, unsere Schülerinnen, sie sind auch das Produkt unserer Erziehung.“ Nach 20jähriger Erziehungsarbeit sei es einfach unehrlich, wenn die vielen LehrerInnen der 68er-Generation nicht ihren eigenen Beitrag zu Misere diskutierten. Tatsächlich findet diese Diskussion ja längst statt. Über den fatalen Reflex vieler linker Lehrer, jede nationale Regung bei ihren Sprößlingen als nationalistisch zu verdammen und damit Gesprächsmöglichkeiten von vornherein zu zerstören, liegen eine Reihe von Beiträgen vor. Daß auch die wohlmeinenden linken PädogogInnen einen Teil der Verantwortung dafür tragen, daß von den Heranwachsenden zwischen 15 und 24 Jahren in Deutschland West 30 Prozent ausländerfeindliche Orientierungen aufweisen, so die Studie „Jugend und Politik in Deutschland“, gilt außerhalb des linksgrünen Landtagsmilieus inzwischen als unumstritten. Genau darauf hinzuweisen war ein Anliegen von Beate Scheffler. Sie will, auch wenn sie den einen oder anderen Satz heute anders formulieren würde, davon nichts zurücknehmen. „Bisher haben wir als Minderheit in der Fraktion zu vielem geschwiegen, um das einheitliche Bild nicht zu trüben.“ Das könne sie nun „nicht mehr verantworten“.