Stasi-Leute des Mordversuchs angeklagt

■ Offiziere planten die Ermordung eines „Grenzprovokateurs“ und eines Fluchthelfers

Berlin (taz) – Ehemalige Mitarbeiter der Stasi müssen sich jetzt erstmals wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft hat gegen drei leitende Ex-Offiziere der Stasi- Hauptabteilung VIII („Observation und Ermittlungen“) und einen Frankfurter (Main) Kaufmann Anklage beim 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichtes erhoben – neben Mordversuch wird ihnen geheimdienstliche Agententätigkeit und Verabredung zu Verbrechen vorgeworfen.

Beschuldigt werden nach einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft der 69jährige Stasi-Generalmajor Albert Schubert, der von 1957 bis 1984 die Hauptabteilung leitete, sein Nachfolger Carli Coburger (63), ein 62jähriger Referatsleiter und der Kaufmann Heinrich Schneider, der als IM „Rennfahrer“ für die Stasi arbeitete.

Im Herbst 1974 erhielt die Hauptabteilung nach Angaben der Bundesanwaltschaft vom inzwischen verstorbenen Mielke-Stellvertreter Beater den Auftrag, den in Westberlin lebenden „Grenzprovokateur“ Siegfried Schulze zu liquidieren. Auf Weisung des Abteilungsleiters sei dann der Frankfurter Kaufmann Schneider im Rahmen der „Operation Fürst“ zur Tatausführung ausgesucht worden. Schneider habe sich auf Schuberts Frage, ob er „für uns jemanden umlegen“ würde, zum Auftragsmord bereiterklärt. Gemeinsam mit einem IM „Karate“ versuchte Schneider anschließend am 18.Februar 1975 den Regimekritiker Schulze im Treppenhaus seines Wohngebäudes in Berlin- Schöneberg zuerst mit Karateschlägen und dann mit einer Pistole zu töten. Der Mordversuch schlug fehl, da bei dem Überfall das Magazin aus der Waffen fiel und dem Opfer anschließend die Flucht gelang. Das weitere Schicksal des Opfers ist nicht bekannt, sein Aufenthalt seit Sommer 1975 unbekannt.

Im Sommer 1980 veranlaßte der stellvertretende Stasi-Minister Neiber die „Operation Parasit“, in deren Verlauf der Organisator einer Fluchthilfeorganisation in Hamburg getötet werden sollte. Die Hauptabteilung entwickelte daraufhin den Plan, einen Sprengstoffanschlag durchzuführen. Im Oktober 1981 wurde dazu dem IM „Karate“ in Ostberlin ein Sprengsatz übergeben, den er unter dem Auto des Fluchthelfers anbringen sollte. Wegen eines Staatsbesuches erhielt „Karate“ kurze Zeit später die Anweisung, die Aktion abzubrechen und den Sprengsatz zurückzugeben.

Der Mordauftrag wurde im April und Mai des folgenden Jahres erneuert, konnte aber wegen der Verhälnisse vor Ort nicht ausgeführt werden. Nachdem der Hauptabteilung VIII Ermittlungen des Bundeskriminalamtes gegen den Fluchthelfer bekannt wurden, brach sie die „Operation Parasit“ ab.

Nach den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft führte die Hauptabteilung VIII in der Bundesrepublik für ihre „operativen Beobachtungen“ ein Netz von mehreren hundert Agenten, die auch im kriminellen Milieu rekrutiert wurden. Die Anfang Juni festgenommen Stasi-Offiziere sind mit Ausnahme vom Abteilungsleiter Schubert aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Heinrich Schneider (IM „Rennfahrer“) soll über 374.000 DM als Agentenlohn erhalten haben. Die Ermittlungen gegen IM „Karate“ sind noch nicht abgeschlossen, sie werden gesondert geführt. Wolfgang Gast