Endlich einmal eine klare Entscheidung

■ Kurzinterview mit Wolfgang Ziegler, einem der drei Anwälte Erich Honeckers

taz: Herr Ziegler, ist es für Sie eine Überraschung, daß Richter Bräutigam nun doch wegen Befangenheit den Prozeß nicht fortführen wird?

Wolfgang Ziegler: Das ist für mich durchaus überraschend, weil ich sehr skeptisch war und aus meiner Erfahrung als Verteidiger weiß, daß bei Befangenheitsgesuchen Kollegen sehr häufig gehalten werden, sich um Probleme herumzudrücken. Insofern finde ich es ausgesprochen positiv, daß ein Problem endlich einmal klar angegangen und entschieden wurde.

War die Lüge Bräutigams wegen des Autogrammwunsches eines Schöffen dabei von ausschlaggebender Bedeutung, oder ist die Entscheidung der Kammer im Gesamtzusammenhang des bisherigen Prozeßverlaufes zu sehen?

Ich meine, daß die Tatsache, daß er die Unwahrheit gesagt hat, ausschlaggebend war, muß aber einschränkend dazu erklären, daß die Entscheidung keinen Aufschluß darüber gibt, welche Gründe die Richter bewogen haben. Wir können den Beschluß nur interpretieren, nicht aber fragen, was letzten Endes Anlaß für die Richter war, so zu entscheiden. Ich persönlich glaube nicht, daß die jetzige Entscheidung ein Ergebnis der Gesamtentwicklung ist.

Was bedeutet Bräutigams Ausscheiden für den weiteren Prozeßverlauf?

Wir hoffen, daß das Problem, daß man gegen einen Todkranken ein Strafverfahren nicht fortführen darf, nun zügig und ruhig noch einmal angegangen wird, daß eine rasche Entscheidung ergeht und daß hierbei die Sachverständigen-Gutachten berücksichtigt werden.

Kennen Sie den zukünftigen Vorsitzenden Hans Boß, und können Sie Spekulationen darüber wagen, wie er das Verfahren leiten wird?

Ich kenne ihn als Beisitzer und denke, daß er die weitere Verhandlung ruhig und sachlich führen wird.

Sind die Chancen gestiegen, daß das Verfahren gegen Honecker eingestellt werden wird?

Ob sie durch die Befangenheitsentscheidung gestiegen sind, weiß ich nicht, denke aber, daß sie insgesamt gestiegen sind. Interview: Julia Albrecht