Neue Ölpest droht vor den Shetlandinseln

■ Öltanker mit 85.000 Tonnen gestrandet

London/Berlin (taz) – Die schottischen Shetlandinseln stehen vor der größten Umweltkatastrophe in der europäischen Geschichte. Gestern mittag lief der US- Tanker „Braer“, der unter liberianischer Flagge fährt, mit 84.500 Tonnen Rohöl an Bord auf einen Felsen vor der Südküste der Hauptinsel Mainland und schlug Leck. Die Inselverwaltung löste sofort Katastrophenalarm aus. Am Nachmittag waren Rettungsteams fieberhaft damit beschäftigt, den Schaden zu begrenzen. Die Arbeiten wurden jedoch durch die widrigen Wetterbedingungen erschwert. Hinzu kommt, daß der Tanker am Fuß von über hundert Meter hohen Klippen liegt und vom Festland aus unzugänglich ist.

Die „Braer“, die von zwei Reedereien in New York und Singapur gechartert worden war, befand sich auf dem Weg von Norwegen nach Kanada. Sie hatte doppelt soviel Öl an Bord wie die „Exxon Valdez“, die 1989 vor Alaska sank und eine Umweltkatastrophe auslöste. Gestern früh um 7 Uhr fielen die Maschinen aus, weil vermutlich Salzwasser in die Dieselleitungen geraten war. Das Schiff trieb fünf Stunden lang bei Windstärke 11 auf dem Meer. Die 34 Mann starke Besatzung wurde evakuiert. Gegen 11 Uhr Ortszeit wurden drei Besatzungsmitglieder und zwei Lotsen per Hubschrauber auf den Tanker gebracht, um eine Schlepptrosse zu befestigen. Ein zweites Schiff, die „Star Cirius“, versuchte, die „Braer“ von der Küste wegzuschleppen, konnte aber nicht verhindern, daß der Tanker auflief.

Die Shetlandinseln liegen 160 Kilometer nördlich vom schottischen Festland. Nur 18 der über 100 Inseln sind bewohnt. Die Südküste der Shetlands bei Sumburgh Head ist für ihre Vogelkolonien weltberühmt. Tausende von Papageientauchern, Eiderenten, Tölpeln, Sturmvögeln, Spießenten und Scharben sind von der Ölpest bedroht. Der Abgeordnete der Shetlands, Jim Wallace von den Liberalen Demokraten, sagte: „Seit das größte europäische Ölterminal in Sullom Voe an der Nordküste von Mainland vor 20 Jahren eröffnet wurde, haben die Bewohner ein Unglück befürchtet.“ 1982 war der Tanker „Esso Bernicia“ bei Sullom Voe gesunken und leckgeschlagen. Die Umwelt hat sich bis heute nicht erholt, sagte Wallace.

Bei Redaktionsschluß war der Schlepper „Smit Internationale“ aus Rotterdam auf dem Weg zu den Shetlands, wo er gegen Abend eintreffen sollte, um die „Braer“ von dem Felsen zu ziehen. Experten befürchteten jedoch, daß der Tanker bis dahin bereits auseinandergebrochen sein könnte. Paul Horsman von Greenpeace glaubte gestern nicht, daß die Rettungsarbeiten das Schlimmste verhindern können. „Selbst bei idealen Wetterbedingungen können auch die erfahrensten Teams nur zehn Prozent des Öls bergen“, sagte er.

Auf den Weltmeeren sind ständig 3.111 Tankschiffe unterwegs, ein Fünftel davon unter liberianischer Flagge. Die Tanker können gleichzeitig insgesamt rund 265 Millionen Tonnen Öl befördern. Viele von ihnen sind aber technisch veraltet, 70 Prozent sind 12 Jahre alt oder älter. 1.100 Millionen Tonnen Öl werden jährlich über die Weltmeere geschippert. Seit 1978 hat es an den Küsten rund um den Globus etwa 30mal heftig gekracht. Bei sog. Mega- Spills, wie dem der „Exxon Valdez“ vor der Küste von Alaska 1989 und dem der „Aegean Star“ Anfang Dezember vor Spaniens Küste, sind jeweils mehr als 35.000 Tonnen Öl ins Meer gelaufen.

Seit Jahren wird von Umweltschützern verlangt, die internationale Tankerflotte wenigstens mit doppelten Wänden auszustatten. Erst vor kurzen kam es zu einer internationalen Übereinkunft, die eine Doppelwandigkeit neuer großer Tanker vorsieht. „Es gibt nach wie vor sehr wenige solcher Tanker“, so Joe Nichols von der „International Tanker Owners Pollution Federation“ in London. Bei dem Unglück vor den Shetlands wäre angesichts der rauhen See auch mit doppelten oder dreifachen Tankerwänden nichts mehr zu machen gewesen. Für den Schaden bei einem solchen Tankerunglück komme zunächst der Reeder bis zu einer Höhe von 8,2 Millionen Dollar (13,5 Millionen Mark) auf. Bis zum Zehnfachen dieses Betrages hafte die internationale Staatengemeinschaft. „Größere Schäden gibt es bei gesundem Menschenverstand kaum“, begründet Nichols die Obergrenze. Die kämen höchstens in den USA vor. RaSo/ten