Der Obdachlosigkeit vorbeugen

■ Im Ostteil der Stadt nimmt die Hälfte der Sozialhilfe-Berechtigten ihren Anspruch auf Hilfe nicht wahr / Forderung nach Bettenbörse / 2.000 Wohnungen für Obdachlose in Aussicht

Berlin. Die Berliner Sozialverwaltung wirbt zur Zeit in einem Fernsehspot dafür, das Recht auf soziale Leistungen unbedingt in Anspruch zu nehmen. Nicht jeder wisse beim Verlust der Wohnung, daß das bezirkliche Sozialamt in begründeten Fällen die laufenden Mietzahlungen und oft auch die Mietschulden übernimmt. Die taz sprach mit Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) über vorbeugende Maßnahmen gegen Obdachlosigkeit.

taz: Was hat Ihre Verwaltung zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen?

Ingrid Stahmer: Wir kennen zu viele Menschen, die in Mietschulden geraten, ohne zu wissen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt, insbesondere im Ostteil der Stadt.

Wo liegt da der Unterschied?

Wir haben zur Zeit in Ostberlin nur 27.000 Sozialhilfeempfänger, im Westteil der Stadt sind es 113.000. Wir vermuten, daß im Ostteil etwa die Hälfte der Berechtigten ihre Möglichkeiten nicht wahrnimmt. Das ist allerdings eine geschätzte Dunkelziffer.

Hat für Sie die Vermeidung von Obdachlosigkeit Vorrang?

Ja, unbedingt. Wir sollten gerade in der Vorbeugung mehr tun, weil es erstens für die Menschen besser ist, und zweitens ist das auch eine finanzielle Frage. Wenn erst mal jemand in Obdachlosigkeit gerät, ist die Unterbringung in Pensionen oder neuen Wohnungen teurer als wenn von vornherein vorbeugend geholfen wird.

Sie haben gegenüber der Presse erklärt, Sie halten die geforderte Möglichkeit, in U-Bahnhöfen zu übernachten, für menschenunwürdig. Ist die Unterbringung in Läusepensionen menschenwürdiger?

In einem Teil der Pensionen ist sie sicher adäquat und in Ordnung. Es gibt aber auch eine zu große Zahl von schwarzen Schafen unter den Pensionen. Die Unterbringung dort ist sicher sehr schlecht, aber sie wäre immer noch besser als in einem Berliner U-Bahnhof, wo wir erstens keinen stillgelegten haben wie in Paris, der zweitens kalt ist und nur Einzelsitze enthält und keinerlei hygienische Einrichtungen vorweisen kann. Das jährlich neue Gerede darüber, daß das Öffnen von U-Bahnhöfen eine adäquate Maßnahme zur Hilfe bei Obdachlosigkeit in der kalten Jahreszeit ist, kann ich, auch wenn es noch so oft wiederholt wird, nicht gut finden.

Wie steht es um den „Feuerwehrfonds“, mit dem 2.000 Wohnungen an Obdachlose vermietet werden sollen?

Wir besprechen zur Zeit das Verfahren. Unser Interesse ist dabei, die Dringlichkeit und soziale Notwendigkeit bestimmen zu können. Das Interesse der Wohnungsbaugesellschaft ist es, soviel Mitbestimmung zu haben, daß sie die Verteilung in ihrem Wohnungsbestand mitregulieren können. Das wollen wir in ein ordentliches Verfahren bekommen.

Noch vor dem Frühjahr?

An sich bin ich zuversichtlich, daß wir im Januar oder Februar schlußverhandelt haben.

Gibt es eine Zwischennutzung leerstehender Wohnungen über den Winter?

Das tun wir in etlichen Fällen, ebenso wie die Bezirke mit den Wohnungsbaugesellschaften darüber verhandeln. Aber das ist natürlich unterschiedlich, da die Zuständigkeit für Obdachlosigkeit grundsätzlich bei den Bezirken liegt.

Sie haben die Einrichtung einer Bettenbörse gefordert. Was ist darunter zu verstehen?

Gemeint ist damit die Vernetzung der Information aller 23 Bezirke über die jeweils von ihnen belegten Pensionen. Es ist ja leider so, daß zwar die einzelnen Bezirke sehr gut ihre Pensionen kennen. Wenn nun aber zum Beispiel Charlottenburg eine Kostenübernahme ablehnte, war es für die Betreiber bisher nicht schwierig, über andere Bezirke die Heime zu vermieten. Mit einem gemeinsamen Informationssystem kann die Vermietung koordiniert werden und auch festgestellt werden, ob überhaupt eine Genehmigung zur Zimmervermittlung vorliegt. Interview: Uwe Rada