Größere Rechte für TürkInnen

■ ImmigrantInnen freuen sich über Urteil des Europäischen Gerichtshofes/ Tausende wurden zu Unrecht abgeschoben

Berlin. Mit verhaltener bis offener Freude reagierten verschiedene Organisationen der rund 137.000 Berliner TürkInnen auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, das den türkischen ImmigrantInnen mehr Rechte verleiht. Nach den Maßstäben des Luxemburger Gerichts sind in den letzten Jahren nicht nur Tausende von TürkInnen zu Unrecht abgeschoben worden, auch Teile des neuen Ausländergesetzes können nicht länger als rechtens gelten.

Kurz vor Weihnachten, am 16. Dezember, hatten die Richter im Falle eines türkischen Malers entschieden, daß dieser bereits nach einem Jahr Arbeit in Deutschland hätte hier bleiben dürfen. Die Behörden hätten seine Aufenthaltserlaubnis verlängern müssen, und zwar unabhängig von seiner Ehe mit einer Deutschen. Die zuständige Ausländerbehörde im hessischen Wiesbaden hatte den Mann abschieben wollen, weil seine Ehe mit einer deutschen Frau nach einem Jahr gescheitert war. Nach den Bestimmungen des neuen Ausländergesetzes von 1991 wäre dem Betroffenen nämlich erst nach dreijähriger Ehe in Deutschland ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zugestanden worden. Das Luxemburger Urteil hebelt auf diese Weise Bestimmungen des Ausländergesetzes aus und macht einen Teil der entwürdigenden Scheinehen überflüssig: Solange die Betroffenen Arbeit haben, reicht jetzt ein Jahr Ehe oder Scheinehe zum Hierbleiben aus.

Der Richterspruch gilt allerdings nur für TürkInnen, denn er bezieht sich auf den 1963 zwischen den EG-Staaten und der Türkei abgeschlossenen Assoziationsvertrag. In einer Vertragsergänzung wurde festgelegt, daß in der EG lebende türkische Staatsangehörige nach einem Jahr Arbeit beim selben Betrieb einen Rechtsanspruch auf Verlängerung ihrer Arbeitserlaubnis haben. Damit sei noch lange kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gegeben, folgerten bislang die trickreichen deutschen Behörden und schoben weiterhin Tausende ab. Vor allem in Berlin – Wohnsitz der meisten türkischen ImmigrantInnen in Deutschland – gerieten viele in jene Rechtsfalle, da auch das Oberverwaltungsgericht diese Auffassung teilte. Falsch, befanden jetzt die Europarichter: die Arbeitserlaubnis schließt die Aufenthaltserlaubnis mit ein.

Dennoch: Mehr als „optimistische Skepsis“ vermag Safter Cinar, Sprecher des „Bundes der EinwanderInnen aus der Türkei in Berlin e.V.“, angesichts des Urteils nicht zu empfinden. Skepsis deshalb, weil die Bundesregierung, die Länderbehörden und die Gerichte immer wieder versuchen würden, solche Urteile als Einzelfallentscheidung hinzustellen und ihnen den generellen Charakter abzusprechen. Optimismus aber darum, weil sie damit „auf Dauer nicht durchkommen“. Anwalt Klaus Radziwill, Pressesprecher des „Türkischen Sozialdemokratischen Vereins“, nannte den Richterspruch ein „Signal für die Unhaltbarkeit der bisherigen Position der Behörden“. Begrüßenswert sei er auch deshalb, weil er zu einer größeren Rechtssicherheit führe. Azize Tank vom „Türkischen Frauenverein“ fand das Urteil ebenfalls „sehr positiv“, vor allem für türkische Frauen. Ohne Angst vor Abschiebung könnten sie sich nun früher scheiden lassen, wenn ihre Ehemänner sie mißhandeln würden. Ute Scheub