Rasierklingen in Bonbonpapier

■ „Candyman's Fluch“ – ein Film von Bernard Rose

Das Kino ist vielleicht der letzte Ort, an dem das Erhabene noch seinen Platz findet, der letzte Ort, wo die Bilder einen sanft ansaugen, mitnehmen und Raum und Tag und Zeit vergessen lassen. Und der Horrorfilm ist wahrscheinlich das letzte Genre, das mit der schon immer etwas gewalttätigen Ästhetik des Erhabenen arbeitet. Im Gegensatz zu Actionfilmen, die atemlos von Mord zu Mord hetzen, nimmt sich der Splatter Zeit. Langsam nur schreitet er voran. Er braucht sich nicht zu beeilen, denn der Zuschauer weiß, daß das Fürchterliche längst auf dem Zelluloid lauert. So lebt der Horrorfilm nicht von plötzlichen, überfallartigen Schocks, er lebt von der Angst des Zuschauers, der weiß, daß etwas passieren wird.

Der dritte Spielfilm von Bernard Rose kommt mit großer Besetzung daher; die Story schrieb Clive Barker („Hellraiser“, „Cabal“ etc.), die Kamera führte Anthony Richmond („Wenn die Gondeln Trauer tragen“), und die Musik ist von Phil Glass. „Candyman“ arbeitet mit den Weihnachtsriten, bei denen die Kinder laut nach dem gefürchteten Glücksbringer rufen müssen. Vor einen Spiegel muß man sich stellen und fünfmal „Candyman“ rufen, und das Böse kommt aus dem Jenseits. Die Geschichte ist einfach wie ein Märchen: In den Slums von Chicago gibt es den Mythos vom „Candyman“, einem schwarzen Maler, dem vor 100 Jahren übel mitgespielt wurde. Er sollte die weiße Tochter eines reichen Bürgers porträtieren, verliebte sich und schwängerte sie. Recht grausam wurde er im Auftrag des Vaters dann ermordet – die Hand ward mit einer rostigen Säge abgetrennt, mit Honig wurde er eingeschmiert, auf daß ihn tausend Bienen dann erstachen. Als Racheengel (wie „Freddy“ und tausend andere Horrorhelden) kehrt er nun wieder und mordet die, die ihn unvorsichtigerweise rufen. Der unromantische Gegenpart von „Candyman“ (Tony Todd) ist Helen (Virginia Madsen), eine aufwärtsstrebende weiße Wissenschaftlerin, die sich auf Gruselmythen des urbanen Alltags spezialisiert hat. Als eine Mordserie in den schwarzen Slums von Chicago dem „Candyman“ zugeschrieben wird, forscht sie ihm hinterher, um eine klasse Story draus zu machen. Eher belustigt, dann doch ein wenig zögernd spricht sie fünfmal seinen Namen; schon splittert der Spiegel, und der schwarze Mann mit dem blutigen Haken am Arm steht im Zimmer gar schrecklich und beginnt sie zu jagen. Natürlich erwischt er immer nur die FreundInnen der Heldin. Die liegen dann blutig in deren Appartement, die schwer mordverdächtig nach einigen indiskreten und mutigen Recherchen vom Gefängnis ins Irrenhaus wandert.

Die Geschichte arbeitet mit den klassischen Mustern des Genres. Schon der Titel ist ein schönes Sex- and-Crime-Klischee – ein bißchen erinnert das Monster mit den Bonbons an den polymorph-perversen bösen Onkel. Und in das buntglänzende Bonbonpapier sind natürlich Rasierklingen eingewickelt. Das funktioniert immer, wie die Angstlust, die der Regisseur trefflich herauszukitzeln weiß. Variantenreich das Timing der zahlreichen Suspense-Szenen: Manchmal kommt der „Candyman“ sofort, wenn man ihn ruft, manchmal läßt er sich Zeit, um mit viel Krach durch den Spiegel zu brechen, wenn man es eigentlich gar nicht mehr erwartet, dann wieder läßt er sich eine Weile gar nicht mehr blicken.

„Candyman“ lebt vom meisterhaften Spiel mit den klassischen Oppositionen des Genres – dem übernatürlichen Unhold und der pragmatischen Schönen, den sachlichen Räumen der Heldin und den wunderbar arrangierten archaischen Großstadt-Höhlen verödeter Viertel, in denen der „Candyman“ wohnt, dem langweiligen Ehemann und dem attraktiven Monster.

Nur am Ende kippt der Film leider ein bißchen ins Rhetortenhafte um. Die tote Heldin wird von einer beeindruckenden Prozession der schwarzen Slumbewohner zu Grabe getragen, kehrt aber dann doch als weibliche Version des Unholds wieder. Das stört jedoch nicht allzusehr und gilt im übrigen sowieso für fast alle Großproduktionen aus dem amerikanischen Horror- und Gewaltgenre: Auch das „Schweigen der Lämmer“ oder „Cape Fear“ erstarrten schließlich in langweiligen Klischees. Mit solchen Kompromissen, die den Horror, der eine Stunde lang mühsam aufgebaut wurde, in den Schlußszenen für die Jugend oder das moralische Empfinden der Allgemeinheit wieder zurücknehmen, muß man wohl leben. Detlef Kuhlbrodt

Bernard Rose: „Candyman's Fluch“. Mit Virginia Madsen, Tony Todd, USA, 1992, 101 Min.