Aygül did the right thing

■ „Dügün – Die Heirat“ bricht mit folkloristischen Traditionen

Ein Bus auf einer staubigen Landstraße in Ostanatolien. Metin aus Berlin fährt in sein Heimatdorf. Seine Gedanken wandern zurück zum Abschied von seiner blonden Freundin am Flughafen Berlin-Schönefeld. Sein Vater hat ihn per Telegramm gerufen wegen schwerer Krankheit der Mutter. Metin findet sie jedoch wohlauf und das ganze Dorf in großer Geschäftigkeit. Unverhofft gerät er in Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande. Er selbst ist es, der verheiratet werden soll, mit Aygül, die er bei seiner Ankunft nicht einmal erkennt. Ihre Liebe gründet sich auf ein paar heimlich ergatterte Fotos.

Metin wehrt sich, erzählt von seiner deutschen Verlobten, läuft davon, wird zurückgeholt, vom Vater mit dem Tode bedroht und muß schließlich gegen seinen Willen die Hochzeit über sich ergehen lassen. Statt ins eheliche Bett zu steigen, packt er jedoch seine Sachen und geht. Die Pistole, die ihm ein Freund für Freudenschüsse in die Hand drückte, läßt er in Aygüls Aussteuerkasten, sinnigerweise „Käfig“ genannt, liegen. Ein Schuß knallt in der Stille. Morgens liegt die verschmähte Braut tot auf dem Bett.

Yenice (Neudorf) heißt der Ort, wo die Kluft zwischen den Generationen aufbricht. Frauen und Männern sollen sich in die Ordnung der Patriarchen fügen, aber die Jungen können und wollen nicht mehr mitspielen. Längst ist das Dorf nicht mehr die abgeschlossene Gemeinschaft, in der man von Geburt bis zum Tode lebt. Abwanderung und der Einfluß neuer Sitten aus der Stadt stellen die alten Traditionen in Frage.

Die Geschichte von der Zwangsheirat ist nicht neu im türkischen Kino. Wieder einmal wird die betroffene deutsche Linke hier ihre exotisch-folkloristischen Bilder vom patriarchalisch gewalttätigen Leben in der ländlich archaischen Türkei bestätigt finden. Der Regisseur Ismet Elçi lebt in Berlin. Sein Film, in der Türkei gedreht und in Deutschland produziert, richtet sich an eben dieses deutsche Publikum. Die viel beschworene Zerrissenheit zwischen den Kulturen fordert auch hier wieder ihre Opfer. Doch in Dügün leiden nicht nur die Migranten; auch die ländliche „Idylle“ der Zurückgebliebenen – ohnehin meist eine Fiktion von Autoren und Regisseuren – wird gesprengt, die Opferrolle deligiert.

Im Vergleich zum Genre gekünstelter türkischer Dorfdramen hebt sich Dügün durch die einfache, wenig stilisierte Erzählweise und die Natürlichkeit der Darsteller positiv ab. Die Schauspielerin Alsi Altan legt in ihre Aygül eine stille Auflehnung gegen die ihr angebotene Frauenrolle hinein. Sie ist nicht nur stumme Dulderin; sie hat Hoffnungen und Wünsche. Nachdenklich betrachtet sie Metins Jugendfotos und hofft auf seine Liebe. Als er sie nicht erkennt, ist sie tief enttäuscht. Aygüls Mutter zieht die weise Frau Cemile zu Rate, und diese bespricht Aygüls Bauch und bemalt ihn mit arabischen Schriftzeichen, um Metins Liebe zu beschwören. Aygül läßt die Prozedur verzweifelt über sich ergehen. Eine alte Jungfer genannt zu werden, ist eine schlimme Beleidigung in dieser Welt.

In Gesprächen mit ihrer Freundin Emine stellt Aygül ungewöhnliche, unliebsame Fragen über das Eheleben. Die Kleiderstoffe für ihre Aussteuer hat sie zum Teil durch Feldarbeit selbst verdient. Das Brautgeld findet sie nicht so wichtig, obwohl ihre Freundin ihr versichert, der Wert einer Frau bemesse sich an dem Brautgeld, das der Mann für sie zahle.

Ein Mann kehrt zurück und stößt mit der patriarchalen Autorität zusammen. Was ihn treibt, ist eine blonde Frau aus der Ferne. Es wird geschossen. Eine andere Frau muß sterben, damit der Mann frei ist. Ein Western in Ostanatolien? Aygül did the right thing: Sie verabschiedet sich eigenhändig aus einem Film, der letztlich doch wieder den alten Mythos von der Freiheit des Mannes beschwört, indem sie von der Schußwaffe Gebrauch macht. Deniz Göktürk

Ismet Elçi: „Dügün – Die Heirat“, mit Oguz Tunc, Asli Altan, Halil Ergün u.a., Deutschland/Türkei 1990/91, 91 Min.