: Grüne Grabenkämpfe und Potemkinsche Dörfer
Streit an der Basis der Hessen-Grünen vor den Kommunalwahlen im März ■ Aus Frankfurt am Main Klaus-Peter Klingelschmitt
Im März 1993 finden in Hessen Kommunal- und Kreistagswahlen statt – die bundesweit ersten Wahlen nach der Eskalation der rechtsradikalen Gewalt gegen AusländerInnen in Deutschland. Glaubt man den Auguren etwa des Mannheimer Ipos-Instituts, kommen SPD und Grüne dabei hessenweit auf 52,2 Prozent der WählerInnenstimmen (SPD: 42,9, Grüne 9,3). In Frankfurt würden SPD und Grüne weiterregieren können. Die Grünen werden von Ipos mit 13,6 Prozent (plus 3,4 Prozent) gehandelt, die SPD unter OB von Schoeler mit 40,2 Prozent mit einem Zehntelprozentpunkt mehr ausgestattet als bei den letzten Kommunalwahlen 1989. Doch wer glaubt schon drei Monate vor einer Wahlentscheidung an Umfrageergebnisse?
Jürgen Frömmrich (31), Landesvorstandssprecher der hessischen Grünen, weiß aber, daß am 7.März zahlreiche kommunale rot- grüne Bündnisse quasi durch technischen Knockout beendet werden könnten. Er sieht „baden-württembergische Verhältnisse“ auf der kommunalen Ebene auf das Hessenland zukommen, denn trotz der erwarteten Stimmengewinne für die Grünen werde die SPD Federn lassen müssen – nach rechts zu den „Reps“ (landesweite Prognose: knapp sieben Prozent) und zur CDU und nach links zu den Grünen.
Die Grünen orientieren sich im Wahlkampf deshalb (preiswert) an der Kampagne von 1989: „Wer rot- grün will, muß Grüne wählen.“ Frömmrich glaubt fest daran, daß die Partei die Stimmen all der enttäuschten Ex-WählerInnen der Sozialdemokraten „einsacken“ wird, die sich wegen der Asyl- und Blauhelmpolitik von der SPD abgewendet hätten. Und das sei eine weitaus größere Gruppe als etwa die Anhänger der abgängigen Fundamentalisten der Grünen, die sich in Frankfurt für die mit PDS-Mitgliedern garnierte „Öko LiLi“ von Jutta Ditfurth entscheiden könnten.
Die unangenehmsten Gegner der Grünen sind allerdings immer noch die Grünen selbst. Grabenkämpfe, persönliche Animositäten und ideologische Auseinandersetzungen haben die Partei in diversen Kreisen stark geschwächt. „Wir marschieren mit offenen Augen in die Katastrophe.“ Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch kommentierte das Vorstandsmitglied der Grünen im Landkreis Groß-Gerau, Dirk Langolf, die „haarsträubenden Ereignisse“ bei den Grünen in der sogenannten Startbahn-Frontstadt Mörfelden- Walldorf. In der Doppelstadt im Frankfurter Umland hatten die Grünen da gerade die Einleitung eines Parteiausschlußverfahrens gegen den einzigen Ersten Beigeordneten der Partei im gesamten Landkreis, Dirk Treber (Ex- MdL), und vier seiner BundesgenossInnen beschlossen. Die Ausbootung des „Treber-Clans“ ist allerdings nur die Spitze in einem Dauerclinch, dessen Wurzeln bis in die politische Steinzeit der Grünen zu Startbahn-Hochzeiten reichen. Inzwischen haben die Stadtverordneten der Grünen Bürgerliste (GBL) in Mörfelden-Walldorf ihre Mandate niedergelegt und die GBL aufgelöst. Stadtrat Dirk Treber bleibt dagegen im Amt. Kreisvorständler Langolf: „Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen. Und das zu erwartende niederschmetternde Wahlergebnis bei den Kommunalwahlen im März des kommenden Jahres wird die Grünen im gesamten Kreis in ein schwarzes Loch fallen lassen.“ Immerhin waren die Grünen in Mörfelden-Walldorf bislang für zweistellige Ergebnisse gut. Mitte Dezember beschloß die grüne Kreisversammlung in Groß-Gerau deshalb für- und vorsorglich, in Mörfelden-Walldorf eigene Wahlplakate zu kleben. Tenor: „Liebe BürgerInnen, macht bitte uns Kreis- Grüne nicht für die elenden Verhältnisse bei den Grünen in Eurer Stadt verantwortlich.“
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im hessischen Landtag, Rupert von Plottnitz, sprach schon vom „Winterpalais“ der Grünen, das in Mörfelden-Walldorf in Flammen stehe. Selbst anerkannte lokale Integrationsfiguren, wie etwa die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Kreistag, Karin Fischer, haben resigniert: „Da vermischen sich persönliche Feindschaften und politische Differenzen zu einem trüben, ungenießbaren Brei.“ Im Parlament der Doppelstadt sitzen jetzt die NachrückerInnen für die Aus- und Zurückgetretenen. Die „Altgrünen“ bezeichnen die „Neugrünen“ heute als „Neo-FundamentalistInnen“. Stadtrat Treber steht ohne parlamentarische Rückendeckung da – und der Koalitionspartner SPD hat Probleme, seinen „richtigen Partner“ auszumachen. Die NachrückerInnen firmieren jetzt unter dem Titel „Parlamentsfraktion des Grünen-Ortsverbandes“. Dirk Langolf vom Kreisvorstand: „Diesen zerstrittenen Haufen wählt doch im März kein Mensch mehr.“ Kurz vor Weihnachten verdonnerte das Landesschiedsgericht die Kontrahenten zum Burgfrieden.
Doch nicht nur in Mörfelden- Walldorf steht bei den hessischen Grünen „Götterdämmerung“ auf dem Spielplan. Zerstritten präsentieren sich auch die Kreisverbände Limburg-Weilburg und Bergstraße ihren Ex-WählerInnen. Dort hatten sich die Kreistagsfraktionen und die Kreisvorstände mit ihren DezernentInnen in den Landratsämtern heillos überworfen. Dem Landesvorstand ist es inzwischen gelungen, mit Kompromißangeboten an die Streithähne zumindest temporär für Waffenstillstände zu sorgen – bis zum nächsten grundsätzlichen Konflikt um die sogenannten Hauptamtlichen. In Kassel kam es gar zur Spaltung der Partei: Zwei konkurrierende Listen werden dort zu den Kommunalwahlen antreten. Im Stadtparlament sitzen zwei Fraktionen aus dem gleichen Lager: eine aus autonomen und grünen Frauen, die sich als Vertreterinnen außerparlamentarischer Initiativen und Gruppen bezeichnen und unter dem Titel „Bunte Liste“ firmieren, und ein Realo- Gruppe um den Fraktionsvorsitzenden Hubert Müller.
Im Landtag setzen die Grünen im Konfliktfall Kassel ausschließlich auf's „realo-grüne Pferd“. Falls die Frauen mit einer eigenen Liste tatsächlich zu den Kommunalwahlen antreten sollten, würde das die Grünen nur „marginal tangieren“, glaubt Landtagsfraktions-Geschäftsführer Reinhold Weist aus Kassel. In Kassel, so Weist, handele es sich um einen „Familienkrach“. Und der schwele dort seit den Zeiten der ersten rot-grünen Koalition unter dem SPD-Bürgermeister Hans Eichel. Weist: „Was damals als ,Fundi-Realo-Konflikt‘ begann, ist heute eine Auseinandersetzung zwischen Personen geworden – mit vorgeschobenen politischen Argumenten.“
Knüppeldick kam's für die Grünen dagegen im Main-Kinzig- Kreis. Dort hatte die mit den Grünen koalierende SPD in Zusammenarbeit mit der NPD im Kreistag die Pläne für eine umstrittene Müllkippe verabschiedet und den grünen Dezernenten aus dem Amt gedrängt. Daß dem „Erbschleicher“ der Aufgabenfelder des grünen Dezernenten, dem Sozialdemokraten Pipa, mit einer grünen Stimme zur Machtausweitung verholfen wurde, ist für den Landtagsabgeordneten Weist „ein echter Skandal“. Seit Jahren tuckerten sozialdemokratische U-Boote durch die Gewässer der grünen Kreistagsfraktion. Von einer von den WählerInnen zu identifizierenden grünen Politik im Main- Kinzig-Kreis könne deshalb schon lange nicht mehr die Rede sein.
Ein „Desaster“ für die Grünen bei den Kommunalwahlen will in der Landtagsgruppe der Partei und an der Parteispitze dennoch (noch) niemand prognostizieren. Im Grunde, so glaubt Weist, interessierten diese „archaischen Konflikte“ doch keine(n) WählerIn. In der medienwirksamen Landespolitik laufe es „wie geschmiert“. Für sehr viel problematischer als die Dauerkonflikte in den Kreisverbänden erachtet man in Wiesbaden das zurückgehende Engagement von politisch handlungsfähigen Menschen auf der kommunalen Ebene. Weist: „Es gibt Kreisverbände, in denen es keinen Streit gibt, weil es kaum noch engagierte Mitglieder gibt, die sich streiten könnten.“ In Ost-, aber auch in Südhessen befürchten einzelne Ortsverbände, daß sie keine Listen mehr für die Kommunalwahlen zustande bringen könnten. So haben die Grünen in der Doppelgemeinde Ginsheim-Gustavsburg längst das Handtuch geworfen. Drei Sitze haben die Grünen dort noch in der Gemeindevertretung. Aber zur Aufstellung der neuen Liste für die Kommunalwahlen fanden sich nur ganze zwei willige Kandidaten ein. Auch in Nauheim ist es fraglich, ob die Grünen noch eine Liste zusammenbekommen.
Und deshalb, so fürchtet man in der Landtagsfraktion, seien die Grünen in Hessen tatsächlich dabei, eine grüne FDP zu werden: Joschka Fischer als Genscher – und die Partei an der Basis ein Potemkinsches Dorf.
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