352 Flüchtlinge aus Haiti abgegriffen

US-Behörden schritten im letzten Moment ein/ Hungerstreik gegen Ungleichbehandlung mit kubanischen Flüchtlingen/ Clinton bekommt schon kalte Füße  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Trotz Patrouillenfahrten und Aufklärungsflügen der US-Küstenwache hatte es der haitianische Frachter bis in den Hafen von Miami geschafft. 352 haitianische Flüchtlinge drängten sich Dienstag morgen an Bord des Schiffes. Die meisten hatten auf Anweisung ihrer Schlepper ihre besten Kleider angezogen, um dann im Hafen von Bord zu springen und sich unter die Leute zu mischen. Doch statt dessen wurden sie quasi in letzter Minute von den US-Behörden abgefangen. Anstatt in den haitianischen Vierteln Miamis unterzutauchen, steht den Flüchtlingen nun monatelange Haft in einem der Internierungslager der US-Einwanderungsbehörde (INS) bevor, währenddessen der INS ihre Anträge auf politisches Asyl bearbeitet.

In einem der berüchtigtsten Auffanglager, dem „Krome Detention Center“ in Miami, befinden sich seit Silvester 160 ihrer Landsleute im unbefristeten Hungerstreik. Einige Flüchtlinge sind dort bereits seit über einem Jahr inhaftiert. Menschenrechtsorganisationen hatten in der Vergangenheit mehrfach in der Öffentlichkeit gegen die Tatsache der Inhaftierung und gegen die Haftbedingungen protestiert. Das Lager ist permanent überfüllt, einzelne Flüchtlinge sollen mißhandelt worden sein. Zudem ist das Gebäude stark beschädigt, seit vor einigen Monaten Hurrikan „Andrew“ über Florida hinwegfegte.

Das Faß kam zum Überlaufen, als die Haitianer mitansehen mußten, wie 48 kubanische Flüchtlinge Ende Dezember nach Krome gebracht wurden – und am nächsten Tag mit einem freundlichen „Welcome“ und der sicheren Aussicht auf Asyl und ständiges Aufenthaltsrecht entlassen wurden. Sie hatten sich an Bord einer kubanischen Verkehrsmaschine befunden, deren Pilot kurzerhand nach Miami abgebogen war.

Die krasse Diskriminierung zugunsten der Kubaner ist legal: Nach dem „Cuban Adjustment Act“ aus dem Jahre 1966 hat Anspruch auf Asyl, wer vor der Diktatur Fidel Castros flieht. Wer hingegen der Diktatur der haitianischen Militärs zu entkommen versucht, die am 30.September 1991 den gewählten Präsidenten Jean-Bertrande Aristide gestürzt hatten, ist nach US-amerikanischer Lesart ein Wirtschaftsflüchtling.

Über 30.000 Haitianer waren nach dem Putsch auf meist seeuntüchtigen Booten aus ihrer Heimat Richtung USA geflohen. Die meisten wurden auf dem US-Navy- Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba interniert. 11.000 durften in die USA einreisen, um dort ihren Asylantrag überprüfen zu lassen. Die anderen wurden abgeschoben. Seit Mai 1992 hat die US-Küstenwache Order, Flüchtlingsboote aus Haiti auf hoher See abzufangen und ohne Anhörung der Flüchtlinge sofort zurückzuschicken. Dagegen haben Menschenrechtsorganisationen Klage beim Obersten Gerichtshof eingelegt.

Kritik an dieser Politik hatte im Wahlkampf auch Bill Clinton geübt und versprochen, daß unter seiner Amtszeit niemand ohne Asylanhörung abgeschoben würde. Doch inzwischen hat man im Clinton-Team kalte Füße bekommen, nachdem INS und Küstenwache wiederholt berichteten, daß an Haitis Küste tausende potentieller Flüchtlinge an neuen Booten zimmern – und nur auf Clintons Amtsantritt warten, um in See zu stechen.

Bei einem Treffen mit Beratern am Dienstag in Little Rock skizzierte Clinton seine neue Flüchtlingspolitik, die vermutlich noch vor seiner Vereidigung bekanntgegeben wird: Demnach sollen Haitianer ihre Anträge auf politisches Asyl vor allem bei US-amerikanischen Behörden in Haiti selbst, auf der Militärbasis Guantanamo Bay oder in Drittländern stellen. Ersteres beinhaltet allerdings das Risiko, von den haitianischen Sicherheitsbehörden abgefangen zu werden; die beiden letzteren Optionen setzen voraus, daß sich die Flüchtlinge auf einen gefährlichen Seeweg machen, den hunderte andere im letzten Jahr nicht überlebt haben.