Weiße Frauen und Rassismus

Das Verhältnis der weißen Gesellschaft zu den Anderen/Auch weiße Frauen müssen sich ihre Teilhabe am Antisemitismus und Rassismus ihrer Gesellschaft eingestehen, begreifen und bekämpfen  ■ Von Christina Thürmer-Rohr

Das Verhältnis der weißen Gesellschaft zu den Anderen wird gegenwärtig in Deutschland erneut sichtbar als ihr Kernproblem. Die gesellschaftlich, kulturell oder ethnisch Anderen trifft eine Gewalt und Gewaltbereitschaft, wie es sie seit 1945 nicht mehr gegeben hat. Gleichzeitig werden sie für die Gewalt, die sie verfolgt, verantwortlich gemacht: für eine Krise der bundesdeutschen Demokratie, für einen drohenden Staatsnotstand. Ob es sich um die Wiederkehr des alten oder um die Geburt eines neuen Rassismus handelt oder um einen stellvertretenden deutsch- deutschen Bürgerkrieg, der vorerst gegen die zu Eindringern und Wegnehmern gemachten Fremden ausagiert wird – in jedem Fall stellt sich die Frage, welche Gewalt von wem geduldet oder totgeschwiegen wird. Es ist die Frage nach dem Unrechtsbewußtsein der weißen Gesellschaft.

Unrechtsbewußtsein nimmt Gewalt nicht als Schicksal der Opfer oder als Handlungszwang der Täter hin. Unrechtsbewußtsein heißt, auf der Erkennbarkeit, Benennbarkeit und Bekämpfbarkeit von Gewaltverursachern zu bestehen und die Gewaltverhältnisse als ebenso unzumutbar wie von Menschen veränderbar zu begreifen.

Gewalt und Unrecht gegen wen? Bei dieser Frage ergeben sich drei unterschiedliche Seiten des Unrechtsbewußtseins: sie betreffen das Unrecht, das ich erfahre, das Unrecht, das Andere erfahren und das Unrecht, an dem ich beteiligt bin. Diese Seiten zeigen, welche Zumutungen und Verletzungen das jeweilige Unrechtsbewußtsein umfaßt bzw. ausschließt.

1.Die erste Form des Unrechtsbewußtseins bezieht sich auf die Gewalt, die mir oder uns angetan wird. Die eigene Person bzw. die eigene soziale, ethnische etc. Gruppe erfährt Benachteiligungen, Verletzungen, Diskriminierungen. Die großen sozialen und politischen Bewegungen der Geschichte sind getragen vom Unrechtsbewußtsein der Betroffenen. In den Arbeiterbewegungen des 19. Jahrhunderts, den Befreiungsbewegungen in Lateinamerika, der Bürgerrechtsbewegung in den USA, den Frauenbewegungen, Friedensbewegungen kämpfen die Beteiligten gegen die Ungerechtigkeiten der eigenen Verhältnisse, für die Veränderung ihrer Situation.

2.Eine zweite Form des Unrechtsbewußtseins bezieht sich auf eine Gewalt, die anderen Personen, anderen sozialen, ethnischen etc. Gruppen zugefügt wird. Hier geht es nicht um das, was mir passiert sein oder passieren könnte, sondern um das Unrecht, das Anderen zugefügt wird und das mich nicht direkt betrifft. So kennen z.B. weiße Menschen keine rassistische Gewalt, wie schwarze Menschen sie kennen, Männer erleben keine sexistische Gewalt, wie Frauen sie erleben, Angehörige dominanter gesellschaftlicher Gruppen erfahren keine Diskriminierungen, wie dominierte Gruppen oder Minderheiten sie erfahren. Hintergrund des Unrechtsbewußtseins ist hier die Überzeugung, daß die Verletzungen des Anderen ungerechtfertigt sind, also das Interesse an der Situation anderer Menschen. Das Engagement gegen das Unrecht an Anderen ist viel unzuverlässiger als dasjenige gegen selbsterfahrene Unterdrückungen. So sind auch kaum massenhafte soziale Bewegungen bekannt, in denen die Verbesserung der Situation von Anderen ein dauerhaftes, glaubwürdiges und tragfähiges Motiv des Handelns Nicht-Betroffener gewesen wäre. Vor diesem Hintergrund ist das tiefe Mißtrauen zu verstehen, das die Kolonisierten den weißen europäischen Unterstützern während der antikolonialen Revolutionen entgegengebracht haben. Das Problem ist damit aber nicht erledigt. Es wird für weiße europäische Menschen und Gesellschaften letztlich das Problem angesichts der rassistischen Gewalt in der Festung Europa. Die Unmöglichkeit, das Engagement gegen das Unrecht an Anderen zu behaupten, wäre gleichzusetzen mit dem Eingeständnis, daß weiße Menschen sich nicht glaubwürdig gegen Rassismus einsetzen könnten. Ist ein Bewußtseinswandel denkbar, mit dem über die eigenen Interessen hinaus gehandelt werden kann? Und wäre das überhaupt ein Handeln ausschließlich im Interesse Anderer?

3.Eine dritte Form des Unrechtsbewußtseins bezieht sich auf Handlungen, die ich ausgeübt habe bzw. die eigene gesellschaftliche Gruppe ausgeübt hat oder ausübt. Es geht also um diejenigen, die an den Verletzungen und Unterdrückungen anderer Menschen als Subjekte, Täter, Mittäterinnen, Unterdrückerinnen beteiligt sind. Unrechtsbewußtsein heißt hier, die Einsicht zu entwickeln, daß die entsprechenden Handlungen ungerechtfertigt waren und daß sie nicht wiederholt werden dürfen. Dieses Bewußtsein setzt eine individuelle und kollektive Selbstkritik voraus, Kritik an den Taten der eigenen Kultur, Kritik an den Prägungen, die jene an ihren Mitgliedern und damit auch an der eigenen Person vornimmt. Wenn z.B. nicht-jüdische Deutsche sich mit dem Antisemitismus und weiße Deutsche mit dem Rassismus befassen, muß das heißen, die Teilhabe der eigenen Gesellschaft an Antisemitismus und Rassismus zuzugestehen, einzusehen, zu begreifen, zu bekämpfen, sich außerdem selbst als Zugehörige zu dieser Gesellschaft zu verstehen und somit auch als verantwortlich für das, was in dieser Gesellschaft passiert. Die gegenwärtige Situation in Deutschland zeigt täglich neue Symptome für das Verschwinden eines Unrechtsbewußtseins gegenüber Taten der eigenen Gesellschaft und ihrer Geschichte. „Es ist ein Kennzeichen der neuen deutschen Dreistigkeit im Umgang mit der Geschichte, daß Fragen nach Ursache und Wirkung, nach der Kausalität der Ereignisse, kaum noch gestellt werden. Und daß im selben Maße, in dem man sich mit den Verbrechen ,der anderen‘ beschäftigt, die Sensibilität für das von den eigenen Landsleuten begangene Unrecht abnimmt.“ Wer sich zum Opfer stilisiert, hat die Legitimation gefunden, auf ein Unrechtsbewußtsein gegenüber den Taten der eigenen Gesellschaft oder Person verzichten zu dürfen: Die Anderen sind noch schlimmer als Wir! Also haben wir das Recht, die Anderen zu beschuldigen, uns reinzuwaschen.

Diese drei Seiten des Unrechtsbewußtseins gehören zusammen, jedenfalls für die meisten Mitglieder der Weißen Ersten Welt. Das Unrechtsbewußtsein, das notwendig ist, um einer grassierenden Gewalt und Gleichgültigkeit zu widersprechen, muß sich auch auf die Realität von anderen Menschen beziehen, und auf die Gewaltgeschichte und -gegenwart der Gesellschaft, deren Teil wir sind. Dabei geht es nicht um Schuldgefühle, sondern um die Fähigkeit, sich als Teil eines Ganzen zu verstehen, die eigenen Erfahrungen zu relativieren am Maßstab der Erfahrung von Anderen und den eigenen Beitrag gegen die Ausbreitung von Gewalt, Ignoranz und Ausgrenzung zu erbringen.

Der weiße Feminismus-West hat sich nicht erst seit heute der Kritik aussetzen müssen, immer wieder einer eingeschränkten Sicht auf Herrschaft und Gewalt verfallen zu sein. Feministisches Engagement war bisher erstrangig ein Engagement der Betroffenen, gegen Benachteiligungen und Gewalt, die weiße Frauen in der weißen Gesellschaft erfahren. Ausgegrenzt aus der feministischen Kritik waren Herrschaftsformen, die nicht sexistisch, sondern rassistisch und ethnizistisch sind und somit die weiße westliche Frau nicht treffen. Ausgegrenzt war, was die eigene Kultur außerhalb der eigenen kulturellen Grenzen anrichtet; ausgegrenzt war eine Herrschaftskritik, die sich mit der kapitalistischen Form des Umgangs mit Menschen und Natur befaßt, waren die Erfahrungen derjenigen, die an der westlichen Kultur zu leiden haben, aber anders und oft umfassender, als die westliche weiße Frau an ihr zu leiden hat. Ausgegrenzt waren schließlich auch diejenigen Frauen, die zwar im eigenen Umfeld lebten, also keineswegs unsichtbar und fern sind, aber aus dem eigenen Identitätsmaßstab herausfallen. Wenn Feminismus aber Patriarchatskritik im Sinne von Herrschaftskritik bedeuten soll, muß der Rassismus ebenso wie der Sexismus zum tragenden Bestandteil der Patriarchatskritik weißer Frauen werden.

Beim Rassismus der christlich- abendländischen Kultur handelt es sich nicht nur um eine 500 Jahre zurückliegende Geschichte einzelner europäischer Kolonisatoren, sondern auch um die Vorgeschichte europäischer Männer und Frauen. Und hier finden sich Elemente westlich-europäischer Identität, die offensichtlich bis zur Gegenwart wirksam sind. Auch weiße Frauen können sich aus dieser Geschichte nicht herausstehlen. So ist die spanische Conquista untrennbar verbunden mit einer Frau, der Königin Isabella von Kastilien, in deren Auftrag Kolumbus in die Neue Welt segelte. Die Königin von England, Elizabeth I., war wesentlich verantwortlich für den englischen Sklavenhandel. In den amerikanischen Südstaaten hatten weiße Herrinnen wertvolle Einnahmen aus dem Besitz an Sklaven und Plantagen, vor allem wenn ihre Männer in den unzähligen militärischen Kleinkriegen frühzeitig das Zeitliche segneten. Missionarinnen und Missionarsfrauen, Lehrerinnen, nachgeholte Ehefrauen der Kolonisatoren waren, wenn auch in untergeordneten Positionen, an den Unterwerfungen und Indoktrinationen beteiligt. Die Geschichte der europäischen Eroberungen ist voller Beispiele von Frauen, die die Kämpfe der Männer aktiv unterstützten (siehe Martha Mamozai). Es ist also nicht haltbar, europäische Frauen von der Teilhabe an der Kolonialgeschichte und der rassistischen Praxis einfach zu entlasten mit dem Hinweis, sie seien abhängig vom Mann und selber Opfer von Gewalt gewesen. Selbstverständlich trifft das zu, bleibt aber nur eine Seite der Wahrheit.

Die Geschichte europäischer Expansion, der Erfahrung scheinbar grenzenloser Macht und Machbarkeit, die Geschichte des Sieges und des Vorteils zeigt ihre Tiefenwirkung bis heute. So besteht eine Gemeinsamkeit von Mitgliedern der westlichen weißen Welt darin, daß sie NutznießerInnen eines weiterhin bestehenden Ausbeutungsverhältnisses sind. „Ein Mensch heißt bei uns ein Komplize, weil wir alle von der kolonialen Ausbeutung profitiert haben“ (Jean-Paul Sartre). Und direkt oder indirekt haben weiße Menschen sich im Verhältnis zu den Anderen zu TrägerInnen eines Normalbewußtseins entwickelt, das offenbar in aller Selbstverständlichkeit von den folgenden Ansprüchen ausgeht: dem Recht auf den eigenen Vorteil, der Beurteilung der Anderen am eigenen Maßstab, der Verallgemeinerung der eigenen Perspektive, der Definitionsmacht über die Anderen, der Ausübung oder der Duldung von Gewalt, die von Mitgliedern der eigenen Kultur an denjenigen anderer Kulturen und „Rassen“ begangen wird.

Es ist ein Amalgam aus Arroganz, Ignoranz, Abschottung und Zugriff – je nach Herrschaftsposition und Herrschaftsbefugnis. Und da das Herrenvolk nie nur aus Herren, sondern auch aus Untertanen und Untertaninnen besteht, ist nicht nur der kleine Mann im eigenen Land, sondern auch die Frau Untertan im Herrenvolk. In diesem neigen auch die UntertanInnen dazu, sich als Herrschaften zu entwerfen, sobald sie dazu Gelegenheit haben. Diese Gelegenheit ergibt sich am sichersten und gefahrlosesten in der Behandlung der Anderen – im und außerhalb des eigenen Landes. Im Verhältnis zu den Anderen ist der Testfall gegeben, inwieweit weiße Menschen TrägerInnen einer rassistischen Identität sind. Hier entscheidet sich, ob sie und wo sie ihre Grenzen kennen, ob sie und wie sie die Anderen aufnehmen und als Andere gelten lassen, ob sie in der Lage sind, Verantwortung für die eigene Geschichte und Gegenwart zu übernehmen und sich über das Begreifen von Irrtümern verändern können.

Die weiße Frauenbewegung der letzten rund 20 Jahre (ebenso die sogenannte erste Frauenbewegung seit Ende des 19. Jahrhunderts, von der im folgenden aber nicht die Rede ist) ebenso wie feministische Theoretikerinnen in den westeuropäischen Ländern haben die rassistischen Herrschaftsverhältnisse kaum in die eigene Gesellschafts- und Patriarchatskritik einbezogen. Das betrifft vor allem die autonome Frauenbewegung der siebziger und achtziger Jahre, ebenfalls große Teile der Frauenforschung. Diese Ausblendung wurde spätestens seit Ende der achtziger Jahre unübersehbar. Sie ist nicht einfach ein Versäumnis, das nun durch Addition des Rassismusproblems zu den bisherigen feministischen Fragestellungen behoben werden könnte. Der weiße Rassismus ist nicht einfach ein neues zusätzliches „Thema“, dem sich nun auch Feministinnen zuwenden müßten, sofern sie nicht ins politische oder wissenschaftliche Abseits geraten wollen.

Die Ausblendung rassistischer Herrschaftsverhältnisse aus der feministischen Kritik bedeutet mehr als die grundsätzlich unvermeidbare Tatsache, daß wir immer wieder Teile der Realität übersehen und nicht alles gleichzeitig im Blick haben können. Das ständig neue Auffinden blinder Flecken gehört schließlich zu jedem Prozeß politischer Arbeit und wissenschaftlicher Erkenntnis, wenn beide nicht versteinern und dogmatisch werden wollen. Denn diese Ausblendung zeigt nicht nur die immer wieder und überall auftauchenden „natürlichen“ Grenzen des Auffassungsvermögens, sondern sie ist selber rassistisch. Dabei ist wichtig zu betonen, daß das Adjektiv „rassistisch“ hier nicht im Sinne eines bloßen Schimpfworts oder eines Kampfbegriffs verwendet werden soll, der gern eingesetzt wird, um unbelehrbare Rassisten von edlen Antirassisten zu scheiden, dabei die eigene Person selbstverständlich den letzteren zuordnet und so neue Ausgrenzungen und Eingrenzungen vornimmt. Da Rassismus nicht nur ein Problem von Randgruppen ist, sondern „in der Mitte der Gesellschaft“ (Andreas Foitzik) liegt, ist das Wort auch zur besonderen Stigmatisierung Einzelner nicht geeignet. Denn Rassismus ist Bestandteil der weißen Kultur und damit auch in das Denken und Handeln der weißen Menschen dieser Kultur eingegangen. Mit der Kategorisierung in die Schlechten und die Guten, die rechtsextremen Rassisten und die nicht-rassistische Mehrheit „wird verschleiert, daß wir alle in einer rassistischen Gesellschaft leben, daß sich der Reichtum unserer Gesellschaft auf die Ausbeutung von Menschen aus anderen Ländern stützt und zur Legitimation dieser Ausbeutung diese Menschen abgewertet und ausgegrenzt werden, daß Rechte wie Linke, Konservative wie Liberale, Feministinnen wie Umweltschützer, Mächtige wie Machtlose rassistisch orientiert sind, wenn sie in dieser Gesellschaft aufgewachsen sind und nicht gelernt haben, sich bewußt davon zu distanzieren“ (Birgit Rommelspacher). Es gibt also keinen Grund, hier mit der Geste des Vorwurfs und des Besserwissens zu reden. Vielmehr geht es darum, die Herrschaftsweisen dieser Kultur zu begreifen, immer wieder den Mut aufzubringen, mehr zu begreifen als das, was wir bisher begriffen haben, zu begreifen, was wir tun und nicht tun könnten.

Ein feministisches Denken und Handeln ist als rassistisch zu kennzeichnen, sofern es den Ausschluß und die Vereinnahmung der Anderen und die Überlegenheit der eigenen Positionen impliziert – auch wenn das ganz unbeabsichtigt und ungewollt geschieht. Der Westfeminismus hat zunächst die Geschlechterhierarchie innerhalb der eigenen Kultur zum Gegenstand der Kritik und Veränderung gemacht, also einen Aspekt dieser Herrschaft: das Verhältnis weißer Mann – weiße Frau; er hat die Männerherrschaft angegriffen und analysiert, die gegen weiße Frauen im eigenen Land gerichtet ist. Die Akzentsetzung ist nicht rassistisch. Sie wird es, wenn die innerkulturelle weiße Geschlechterhierarchie hinterrücks zum Modell für weiße Herrschaft überhaupt gemacht wird; wenn die eigene Erfahrung generalisiert und zur monokausalen Erklärung aller anderen weißen Herrschaftsweisen erhoben wird. Dieses Denken ist ignorant oder gleichgültig gegenüber ganz anderen Erfahrungen mit der weißen Kultur, Erfahrungen aus der Perspektive derjenigen, die an der gleichen Kultur zu leiden haben, aber anders und meist mehr, als die weiße Frau zu leiden hat. Der Herrschaftsanspruch, den die eigene Kultur in die Welt trug und trägt – mit Rassismus und Antisemitismus, mit Raubbau und Landnahme, mit Waffen und Geld, mit neuen Technologien und alten Ideologien –, wird mit seiner Ausblendung verkleinert und bagatellisiert und im Bewußtsein gelöscht. Er bleibt damit unsichtbar und unwidersprochen. Veränderungsforderungen können sich so weiterhin vorrangig auf das angebliche Hauptproblem, die Diskriminierung der weißen Frau, richten und das Problem der kulturellen Hegemonie unangetastet lassen. Sie sind Symptome für das Eingebundensein der weißen Frauen in die eigene rassistische Gesellschaft. Auch weiße Frauen bringen mit ihren Ausgrenzungen und Ausblendungen zum Ausdruck, daß sie integriert sind in ein Herrschaftssystem, das nicht nur die Frauen unterdrückte, sondern sie gleichzeitig als Komplizinnen braucht, um mit ihnen die Unterdrückung der Anderen zu praktizieren. Unterdrückung und Gewalt des weißen Mannes gegen „uns“ und unseresgleichen haben wir nicht übersehen und nicht geduldet. Unterdrückung und Gewalt des weißen Mannes gegenüber den Anderen und außerhalb unseres kulturellen Blickfelds haben wir an die Peripherie des Interesses gerückt oder delegiert an eine „nicht-feministische“ Opposition jenseits des eigenen Zuständigkeitsbereichs, z.B. an linke oder christliche Gruppierungen. Jedenfalls haben wir die Unterdrückung der Anderen durch die eigene Kultur nicht explizit zum Bestandteil feministischer Arbeit gemacht.

Den Rassismus – wie den Sexismus – zum zentralen Gegenstand weißer feministischer Gesellschaftskritik zu machen, heißt also viel mehr, als Ergänzungen bisheriger Problemansichten und politischer Ziele vorzunehmen. Es würde eine grundlegende Um- Orientierung des gesellschaftlichen Problemverständnisses, des Selbstverständnisses bedeuten: die Um-Orientierung vom „Problem haben“ zum „selbst ein Problem sein“. Denn auch die weißen und christlichen Frauen haben nicht selbst das Problem rassistischer und antisemitischer Diskriminierung, sondern sind Trägerinnen des Problems; sie gehören zu der Kultur, die das Problem ist und das Problem macht. Im weißen Common sense werden demgegenüber die dominierten Gruppen als Probleme verursachend angesehen: sie überschwemmen das Land, sind arm, kriminell, anspruchsvoll, unzivilisiert, fremd, anders. Und die Asylsuchenden werden derzeit nicht nur vom deutschen „Mob“, sondern auch von den politischen Funktionsträgern für Rechtsterrorismus und Gewalt verantwortlich gemacht. Die dominierenden weißen Gruppen haben demgemäß mit den Anderen die Probleme. Diese herrschende Regel, diese Externalisierung der Probleme zu durchbrechen bedeutet für die Mitglieder der dominierenden weißen Gruppe, ihr eigenes Problem zu erkennen, und es da zu orten, wohin es gehört: in der eigenen Gesellschaft und bei deren Mitgliedern. Sie müßten sich mit ihrer eigenen Vergesellschaftung und mit ihrer eigenen Geschichte befassen – allerdings mit einem erweiterten, nicht allein antisexistischen Herrschaftsverständnis.

Wenn wir an einem utopischen Begriff von Gesellschaftskritik festhalten und mehr wollen als die Erhaltung des Status quo für uns bzw. einige Verbesserungen für uns im Status quo, dann geht es nicht mehr nur um die eigene Diskriminierung, sondern ebenso um die Diskriminierung von Anderen, dann müssen wir unser Verhältnis zu den Anderen ansehen.

Dieses wurde in den letzten Jahren unmißverständlich sichtbar:

1.Betroffene von Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, Immigrantinnen, schwarze und jüdische Frauen, konfrontierten weiße Feministinnen seit Ende der achtziger Jahre mit ihren ethnizistischen Sichtweisen und ihrem rassistischen Verhalten. Sie wiesen z.B. auf die selbstverständliche Ignoranz gegenüber Arbeiten von Frauen aus nicht-europäischen Ländern hin; auf selektive Geschichtswahrnehmung; auf ausgrenzendes Verhalten, ausgrenzendes Politikverständnis, ausgrenzende Stellenpolitik; auf Vorurteile und Diskriminierungen im Nicht-Umgang mit Minderheitsfrauen (und -männern) in der feministischen Theoriebildung, in feministischen Projekten, in feministischer Politik; auf Dominanzansprüche weißer Frauen in der Definition von Fragestellungen und in der Prioritätensetzung von Problemen.

2.Die deutsche Vereinigung und der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Osteuropa konfrontierte uns mit der Tatsache, daß der Westfeminismus keine Sprache hatte, keine Idee, keine Vision, um der unvorhergesehenen Situation zu begegnen. Das heißt nicht, vom Feminismus Wunder zu erwarten, politische Großkonzepte, die im Moment niemand hat. Aber auch auf der ganz unspektakulären mitmenschlichen Ebene, im Kontakt zwischen West- und Ostfrauen unterschieden sich Westfeministinnen wenig von einem Verhaltenstyp, der seit der Wende als Prototyp westlicher Arroganz in Erscheinung getreten ist. Die berühmte Geschlechter-Differenz-Theorie jedenfalls hat keinen besonderen Auftrieb mit den Erfahrungen der Ost-West-Kollision erhalten. Westfeministinnen verhielten sich in den formellen und informellen Zusammenkünften nicht viel anders als der kritisierte westliche und männliche mainstream. Die Begegnung mit den Anderen wurde auch hier allzu oft zur Bühne der Überheblichkeit, des Besserwissens, der Herablassung oder einfach der Abwehr und Abkehr, des Rückzugs in die eigenen vertrauten Kreise der Gleichen.

Bereits vor diesen Konfrontationen mit dem konkreten Anderen und mit eigenen Übereinkünften, die die Anderen vergessen oder diskriminieren, war seit den achtziger Jahren allerdings auch schon interne feministische Kritik und Selbstkritik vernehmbar. Der Schock der letzten Jahre traf so auch nicht alle Beteiligten aus völlig heiterem Himmel. Schon längst vor den politischen Umbrüchen in Deutschland und vor der Konfrontation mit einer anderen Realität waren die Stagnation der Bewegung und die oft beklemmende Enge feministischer Problemsichten auch von weißen Feministinnen benannt worden. Die mehr als 100 Jahre alte Kritik an „Kleinlichkeiten“ (Hedwig Dohm) und Selbstbespiegelungen vor allem der „bürgerlichen“ Frauen, am Familienegoismus und Kleinstgruppennarzismus, am Verhaftetsein in Partialinteressen, an der Ferne zu Ideal und Idee hatte sich längst wieder aktualisiert. Der feministische Separatismus, anfangs noch Kampfansage und politische Methode, schien zu einem Separatismus im Denken heruntergekommen zu sein, der auf die „großen Fragen“ der Zeit, auf überindividuelle und überregionale Fragen wenig Bezug nehmen zu müssen meinte. Der Begriff „Gesellschaft“ schien immer abstrakter zu werden. Das Ich, die eigene Person, das „einzig Permanente, die einzige Person, mit der man lebenslang zusammenleben muß“ (Norbert Elias), schien einen immer größeren Aufmerksamkeitsraum einzunehmen. Die Anderen und das Andere waren in Grauzonen des Interesses gerückt. „Jede Frau denkt an sich, jede Frau lernt ich sagen“. Das hatte vielleicht mal einen rebellischen Klang, denn Frauen waren zu lange dazu da, nicht an sich, sondern an „andere“ zu denken, wobei damit erstrangig Mann, Kinder, Verwandte gemeint waren. Die historisch immer zu kurz gekommene Berücksichtigung eigener Interessen hatte vielen die Ego-Zuwendung offenbar zu einer Art Postulat gemacht, jedenfalls zu einem legitim erscheinenden, neuen Liebesversuch. „Emanzipation“ und Selbstbestimmung schien für viele zu heißen, das Interesse von allen Anderen auf sich selbst abzuziehen, die Welt verblassen zu lassen und vornehmlich das eigene Ich zu beleuchten. Das „besondere Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung“, das Olympe des Gouges vor 200 Jahren für Frauen einklagte, sollte es heillos identisch sein und bleiben mit dem Widerstand gegen meine Unterdrückung? Der Feminismus krankte an Horizontverengung und Monokultur, an defensiver Abschottung und Undurchlässigkeit der eigenen Kreise und Identitäten.

Die Kritik an diesen Erscheinungen trat aber irgendwann auf der Stelle, drehte sich im Kreise. Die Phänomene des Weltmangels, der Rückzugsneigung, der eisernen Ich-Fixierung, der Abwesenheit der Anderen, konnten zwar als Spiegel weiblicher Normalexistenz, als Fortwirkung eines weiblichen Erbes analysiert und erklärt werden. Aber das Benennen und Besprechen der Fakten und Bedingungen verblieb eben oft nur im Stadium des Appells, der ungeduldigen Anklage und Selbstanklage, des Ausdrucks von Enttäuschung, Unzufriedenheit oder Verzweiflung. Es fehlte uns die Politisierung des Begriffs „Die Anderen“. Das problematische Verhältnis zu den Anderen konnte noch nicht mit dem Rassismusproblem und der eigenen Zugehörigkeit zur Dominanzgesellschaft zusammengedacht werden. Der Weg zu den Anderen braucht die Erfahrung mit den Anderen, die Konfrontation mit der Realität, die wirkliche Begegnung.

Wie sehen Begegnungen zwischen Frauen der dominanten und der dominierten Gruppen standardmäßig aus? Zunächst Beispiele aus der Perspektive schwarzer Frauen: Audre Lorde berichtet von einer akademischen Tagung, auf der sie ihren Zorn über die rassistische Realität zum Ausdruck brachte. Eine weiße Frau spricht sie daraufhin an: „Sag mir, wie du dich fühlst, aber sag es nicht zu hart, sonst kann ich dich nicht hören.“ Nach einem Forum über „Schwarze und weiße Frauen“ antwortet eine weiße Frau auf die Frage, was die Woche ihr gebracht hat: „... mir hat sie eine Menge gegeben. Ich habe das Gefühl, daß schwarze Frauen mich jetzt wirklich viel besser verstehen.“ Paula Ross hingegen sagt an die Adresse der weißen Frauen: „Wenn du nicht zuhören kannst, wie willst du erfahren, was ich dir sagen will? Ich habe diese Frage immer wieder gestellt. Oft kam die Rückfrage: ,Aber was soll ich tun, nachdem ich zugehört habe? Ich fühle mich so schuldig.‘“ (Paula Ross)

Diese Reaktionen weißer Frauen zeigen

1.Angst: Weiße Frauen fürchten den Zorn schwarzer Frauen. Sie fürchten ihn mehr als die eigenen rassistischen Haltungen;

2.Schuldgefühl: Weiße Frauen reagieren mit persönlichen Schuldgefühlen, sobald sie mit den Aussagen und Forderungen schwarzer Frauen konfrontiert werden. Diese Schuldgefühle „werden zum Kunstgriff, um die eigene Ignoranz zu schützen, um die Dinge so zu lassen, wie sie sind; sie werden zum Schutzschild gegen jegliche Veränderung“;

3.Egozentrismus: Weißen Frauen ist der Anspruch, selber verstanden zu werden, wichtiger als der Anspruch, schwarze Frauen zu verstehen, als bestünde der Kern des Rassismusproblems darin, daß weiße Frauen zu wenig Verständnis bei schwarzen Frauen finden; sie erwarten, daß die Erkenntnis der schwarzen Frauen erstrangig ihnen selbst dienen soll;

4.Delegation: Weiße Frauen machen ihre Auseinandersetzung mit dem Rassismus abhängig von der Anwesenheit und dem Impuls schwarzer Frauen: sie delegieren das Problem, statt es zur eigenen Sache zu machen.

Wenn wir diese Haltungen nicht nur als vereinzelte, sondern als exemplarische verstehen, dann müssen wir sie als Formen oder als Vorformen des Rassismus reflektieren. Sie bekommen damit ein großes politisches Gewicht. Denn sie sind nicht nur Anzeichen weiblicher Defizite, d.h. nicht nur Anzeichen von Erfahrungsmängeln, Wissensmängeln, von Angst oder Unsicherheit. Das Problem Rassismus wird heruntergespielt, wenn es nur in rechtsextremistischen Aktionen und in der unmittelbaren Gewalt gegen Ausländer/innen aufgefunden werden will. Es zeigt sich in seinen Grundstrukturen schon in Kommunikationsgewohnheiten, in Selbstverteidigungen und -rechtfertigungen, die auf den ersten Blick harmlos oder einfach dreist und kleinkariert erscheinen mögen, auf den zweiten Blick aber als Ausdruck einer kulturellen Grundhaltung erkennbar werden, mit der den Anderen der Respekt, das volle Daseinsrecht und ihre Geschichte (mit der weißen Welt) abgesprochen wird.

Hierher gehört auch der Unterdrückungswettlauf, an dem weiße Frauen sich oft beteiligen, sobald sie der Realität der Anderen, d.h. dem Vergleich ausgesetzt sind. Die Position des Opfers erscheint wie eine Vorzugs-Position, die unbedingt anzustreben ist. Der Begriff „Opfer“ bekommt eine „neiderweckende Begehrens-Aura“ (Jürg Laederach). Der Opferstatus scheint in Gefahr, wenn schwarze Frauen den weißen ihre Privilegien vorhalten. Und so kommt es zu den Standard-Einwänden: Ich bin doch auch ... unterdrückt oder arbeitslos oder lesbisch oder sexuell mißbraucht oder alleinerziehend etc. Außerdem: „Die Armut ist weiblich, überall.“ Und: „Wir leben nicht in einer Wohlstandsgesellschaft, sondern in einer Zwei-Drittel-Gesellschaft.“ Und wer darauf hinweist, daß die weiße Realitätswahrnehmung immer wieder die wirklichen Opfer unsichtbar macht, daß die Opfer immer wieder unsichtbar gemacht werden (Golfkrieg, Gewalt gegen Flüchtlinge, naturwissenschaftliche Forschung etc.), bekommt zu hören, es gehe aber im wesentlichen um die „Opferseite in uns“. Oder es heißt: „Ich habe nicht die Kraft, den Opfern zu begegnen.“ Oder „Du redest so hart mit uns.“ Oder „Das macht Schuldgefühle. Schuldgefühle lähmen.“

Das trifft zwar zu. Aber es geht gerade nicht um Schuldgefühle. Die Kritik und Analyse unserer weißen Realität verfolgt ja gar nicht das Ziel, Schuldgefühle zu provozieren. Sie sind die falsche Reaktion auf Tatsachen, die das Individuum nicht hören will. Mit dem Hinweis, daß Schuldgefühle lähmend, unerträglich und schädlich und also zu vermeiden seien, werden die Fakten ganz schnell mitvermieden. Die falsche Gefühlsreaktion wird auf einmal zum wesentlichen Faktum gemacht, während die Fakten, um die es eigentlich geht, von der Bildfläche verschwinden. Das Schuldgefühlsargument wird zur Waffe gemacht gegen den Versuch, eine Öffnung zu den Anderen in unserem Bewußtsein zu erreichen. Schuldgefühle verhindern das. Sie sind kein Weg zu den Anderen. Allenfalls ein Weg zu sich ganz allein, eine Fallgrube, in der die Einzelnen versinken und gar nichts mehr fühlen als den eigenen niederdrückenden Zustand absoluter Ohnmacht, den Zustand der zugeschnürten Kehle, den Stupor. „Schuldgefühle ... sind die Steine einer Mauer, an der wir alle zerschellen werden“, „Schuldgefühle sind nur wieder eine Möglichkeit, sich durchdachtes Handeln zu ersparen.“ Schuldgefühle sind „nur ein anderer Ausdruck ... für eine Verteidigungshaltung, an der jegliche Kommunikation zerbricht“ (Andre Lorde).

Ebenso ist die Konkurrenz um einen möglichst ansehnlichen Platz in der Hierarchie der Opfer ein ganz egozentrischer Akt, der alle verändernden Begegnungen verhindert. Die andere Existenz, der andere Schmerz der Anderen wird in seinem eigenen Recht nicht gelten gelassen, er wird sogleich relativiert am eigenen Vergleich. Die eigene Befindlichkeit und Selbstdefinition bleiben Zentrum des Interesses und Perspektive der Wahrnehmung. Die weiße Frau befürchtet einen Verlust, den „Verlust ihrer Privilegien und ihres Schmerzes“ (Paula Ross). Auch der Hinweis auf die Armut im eigenen Land hat in diesem Zusammenhang die Funktion der Ablenkung, er ist ein Stop-Zug, der den Blick auf die andere Realität umlenkt auf die eigene oder potentiell eigene. Schließlich zum Vorwurf, es werde so „hart“ gesprochen: Wer die Dinge benennt, ist deswegen nicht hart oder macht die Dinge nicht hart, sondern sie sind hart. Wer die Sprecherin zur „harten Person“ und als hartherzig stempeln will, weil sie sich selbst und anderen weißen Frauen die Realität zumutet, beteiligt sich auch hier wieder an der bewährten konzertierten Ablenkungsarbeit, zwingt die Aufmerksamkeit wieder in Richtung der eigenen Verletzbarkeit, Unfähigkeiten und Grenzen.

Wenn hier von einer grundlegenden Veränderungsbedürftigkeit des Verhältnisses zu den Anderen die Rede ist, dann sind damit nicht simple Umkehrungen der bestehenden Normen in ihr Gegenteil gemeint: vom Rassismus zum „positiven Rassismus“, von der Xenophobie zu Xenophilie, von der Ausländerfeindlichkeit zur Inländerfeindlichkeit, vom Antisemitismus zum Philosemitismus. Die appellative „Ausländerliebe“ ist keine Therapie gegen den Rassismus, der verordnete Philosemitismus im bundesrepublikanischen Deutschland kein Rezept gegen den Antisemitismus, allenfalls ein „geistiges Care-Paket“ (Frank Stern). Es kann nicht darum gehen, auf einmal alle immigrierten und schwarzen Menschen lieben und sympathisch finden zu wollen – eine realitätsferne Anforderung, die ihre eigene Unglaubwürdigkeit und ihre eigene Kehrseite bereits in sich trägt. Der jüdische Autor Manès Sperber schrieb in bezug auf den Philosemitismus in der (alten) Bundesrepublik: „Ihr Philosemitismus erdrückt mich, erniedrigt mich wie ein Kompliment, das auf einem absurden Mißverständnis beruht ... Sie bestehen darauf, unser ganzes Volk zu lieben. Ich verlange nicht, ich will nicht, daß man uns oder irgendein anderes Volk in dieser Weise liebe.“

Eine Arbeit, die rassistische Orientierungen überwinden will und die Anderen nicht zu „Objekten beruflicher Antirassisten“ (taz vom 29.11.91) macht, auch nicht zu Objekten karitativer oder paternalistischer Betreuung, ist keine Arbeit für die Anderen. Es ist eine Arbeit mit den Anderen, aber notwendig auch eine Arbeit ohne die Anderen. Ohne die Anderen deswegen, weil der Kampf gegen den weißen Rassismus Angelegenheit der weißen Welt ist und der Kampf gegen den Antisemitismus Angelegenheit der christlichen Welt. Aus dieser Perspektive stellen sich andere Fragen als aus der Perspektive der vom Rassismus und Antisemitismus Betroffenen. Und für uns ergeben sich andere Notwendigkeiten der Veränderung. Rassismus und Antisemitismus sind unsere „Krankheit“, das Übel, das uns verfolgt. Sie sind ein Elend der weißen Welt, ihr geistiges, moralisches Elend. Sie konfrontieren uns mit unserer Geschichte und Gegenwart; mit dem Land, dem wir angehören; mit Menschen dieser Kultur, die uns nicht gleichgültig sein können; mit der eigenen Identität, die von dieser Kultur geprägt ist und die wir oft nicht haben und nicht ansehen wollen. Die Arbeit an diesen Fragen ist unsere Sache. Es ist eine Arbeit im eigenen Interesse. Sie ist aber nur möglich, wenn sie verbunden ist mit dem Versuch, den Anderen zu begegnen und den Dialog zu beginnen. Der kann nur gelingen, wenn weiße Frauen lernen, zuzuhören statt sich zu verteidigen: wenn wir uns verändern wollen, um gemeinsam etwas zu tun.