■ Soziologiefeindliche Töne in der aktuellen Debatte
: Das linke Bedürfnis nach dem Feind

Soziologische Erklärungen der rechtsextremen, ausländerfeindlichen Gewalt haben derzeit wenig Konjunktur – gerade in „linken“ Medien wie der taz. Gewiß haben sich die Sozialwissenschaften nicht gerade hervorgetan, wenn es darum ging, gesellschaftliche Umbrüche und Entwicklungen zu erkennen und zu erklären, wie wir sie jetzt beobachten. Aber das ist nicht der Grund für die Ablehnung soziologischer Perspektiven (und soll deshalb hier nicht thematisiert werden, obwohl es sicherlich nötig wäre). Hinter dieser Ablehnung steckt etwas anderes.

Was das ist, zeigt sich am besten daran, wie Autoren sich mit ihrer (in manchen Fällen sicher erst erworbenen) soziologischen Inkompetenz brüsten. Beispielsweise lehnte ein Kommentator in der taz die These ab, die rechtsextreme Gewalt sei die von marginalisierten Jugendlichen. Darüber läßt sich natürlich streiten. Aber darum ging es dem Autor gar nicht, denn er fügte dem Wort „marginalisierten“ in Klammern hinzu: „Was heißt das eigentlich?“ Hätte er es wirklich nicht gewußt, hätte er die Antwort in einem einschlägigen Fachlexikon finden können. Aber so blöd, nicht zumindest eine halbwegs korrekte Vorstellung von der Bedeutung des Wortes „marginalisiert“ zu haben, ist natürlich niemand in der AutorInnen- und LeserInnenschaft der taz. Es ging ganz eindeutig um etwas anderes: um die Insinuierung, daß man/frau mit dem Vokabular der Sozialwissenschaften besser gar nicht hantieren solle.

Nun ist die „Soziologisierung“ des Diskurses über den Rechtsextremismus sicherlich auch ein Mittel der etablierten Politik, notwendiges Handeln auf die lange Bank zu schieben. Aber nicht nur das dürfte ursächlich für die Ablehnung sozialwissenschaftlicher Deutungsversuche bei den Linken sein. Es gibt noch einen anderen Grund: Das sozialwissenschaftliche Vokabular stört und muß durch ein anderes ersetzt werden, ein klareres, einfacheres, mehr der aktuellen Bedürfnislage der Linken entsprechendes. Warum es stört, kann wiederum soziologisch verstehbar gemacht werden.

Die meisten Soziologen bedienen sich in der Analyse abweichenden, also auch „gewalttätigen“ Verhaltens der sogenannten Labeling- oder Etikettierungstheorie. Was besagt diese? Daß es abweichendes Verhalten nicht „gibt“, sondern daß die Benennung und Erklärung eines Verhaltens als „abweichend“ (oder konkret: als „kriminell“, „geisteskrank“ oder eben „rechtsextremistisch“) eine Konstruktionsleistung dessen ist, der sich mit diesem Verhalten auseinandersetzt.

Das heißt natürlich nicht, daß keine Brände gelegt, daß keine Asylbewerber, Gastarbeiter oder auch nur Deutsche, die fremdländisch aussehen, bedroht, geprügelt, getötet werden. Es geht darum, in welchen Begriffen wir diese Phänomene erklären, und die Implikationen, die das hinsichtlich der Strategien zu ihrer „Bewältigung“ hat. Erklärt man/frau zum Beispiel das Verhalten von Menschen durch ihre Marginalisierung, beinhaltet dies einen gewissen Mitleidsfaktor: Sie wurden unverschuldet – von „der Gesellschaft“ – in ihre Lage gedrängt. Was nottut, ist also Solidarisierung mit den Marginalisierten, die, was immer sie getan haben mögen, jedenfalls auch „Opfer“ der Gesellschaft waren. Solche (ihrerseits übermäßig vereinfachenden) Annahmen haben wir in den vergangenen 25 Jahren denjenigen entgegengehalten, die in den „Kriminellen“ immer nur Monster sehen wollten, die möglichst hart bestraft oder gar beseitigt gehören. „Randgruppenarbeit“ (die Marginalisierten lassen grüßen!) war einmal ein honoriges Betätigungsfeld.

Aber jetzt sind andere Zeiten angebrochen. Jetzt wollen die Linken endlich auch einmal hart strafen dürfen. Das hat sich schon lange angekündigt im „atypischen Moralunternehmertum“ (Sebastian Scheerer) der Linken, beispielsweise gegen Gewalt in der Familie. Aber das war noch eine relativ verzwickte Angelegenheit, weil man/frau sich hier immer fragen mußte, ob nicht das Ausmaß an staatlicher Kontrolle, das eine Durchsetzung des Gewaltverbots gegen Frauen und Kinder zur Folge haben müßte, nicht letztlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Solche kleinlichen Bedenken muß man/frau glücklicherweise gegenüber den Rechtsextremisten nicht haben – zumindest dann, wenn sie, und dies ist der Sinn der Ablehnung soziologischer (oder verwandter) Begriffe, schlicht und einfach als Feind definiert werden können.

Und Feinde brauchen die Linken. Schien nicht vor zwei Jahren, als man das Aufgehen des Ostblocks im westlichen Kapitalismus unmittelbar bevorstehen sah, die Krisen und Umbrüche im Osten in ihren Dimensionen noch nicht erahnte, das linke Weltbild komplett zusammengebrochen? Mußte frau sich nicht mit dem unerträglichen Gedanken auseinandersetzen, daß möglicherweise das marktwirtschaftliche kapitalistische System tatsächlich in vielen Aspekten einer sozialistischen Planwirtschaft überlegen sei? War man nicht schon genötigt, sich ganz konkrete Gedanken zu machen, wie der hier und jetzt existierende Kapitalismus sozial und ökologisch lebbar gestaltet werden könnte? Aus diesem undankbaren Geschäft wurde die Linke nun durch die Gewalttaten gegen die Ausländer und ihre Urheber erlöst. Jetzt zeigt sich doch, daß die Gesellschaft durch und durch verkommen ist, die solches hervorbringt! Jetzt sind die Fronten wieder klar: hier die guten Linken, da der Rest der Gesellschaft. Abgesehen davon ist es ein sehr erhebendes Gefühl, nach Jahrzehnten der Verfolgung durch die etablierten Mächte, die den Feind links sahen, endlich bestätigt zu bekommen, was man/frau schon immer wußte: Der Feind steht rechts.

Falsch daran ist gewiß nicht die Verortung dessen, der da als Feind bezeichnet wird, auf der anderen Seite; falsch ist auch nicht die moralische Empörung über die Gewalttaten. Falsch sind die Denk(?)prämissen, die vom „Feind“ sprechen lassen. Feinde sind die, die vernichtet werden sollen. Damit das funktioniert, darf keinerlei gedankliche Distanzierung das eigene moralische Engagement stören.

Genau diese Distanzierungsfunktion wäre aber Versuchen des soziologischen (selbstverständlich auch psychologischen, politologischen, rechtswissenschaftlichen) Erklärens zu eigen. Man/frau könnte dann zumindest nachdenken, ob zum Beispiel der Knast, den man jahrelang als Disziplinierungsmittel, als Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument abgelehnt hat, wirklich das beste und einzige Mittel gegen die rechte Gewalt ist, wie zumindest ein Teil der Linken anzunehmen scheint. Man/ frau könnte darüber nachdenken, wie ein besserer Schutz der gefährdeten Asylbewerber und ausländischen Bürger organisiert werden kann, ohne in Bürgerkriegs- und Vernichtungsphantasien zu verfallen. Aber dann müßte auch das eigene moralische Rechthabertum aufgegeben werden. Und in diesem läßt man/frau sich eben ungern stören. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer

Diplomsoziologe und Mitarbeiter der Münchner Projektgruppe für Sozialforschung