Wodka und Brot für alle

Rußlands Premier verfügt das Einfrieren der Preise für Grundnahrungsmittel/ Nur eine langsamere Gangart des Reformprogramms?  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Preisliberalisierung war der erste Schritt, den die russische Regierung vor genau einem Jahr unternahm. Damit wollte sie nach langem Zögern und Zaudern mit konkreten Reformmaßnahmen endlich ernst machen. Die Preise stiegen im vergangenen Januar auf Anhieb um fast 400 Prozent. Jegor Gaidar, der verantwortliche Wirtschaftsarchitekt und amtierende Premier wurde über Nacht zum Prügelknaben der Nation. Im Dezember mußte er seinen Platz räumen. Viktor Tschernomyrdin übernahm das Ruder. Der neue Premier stammt aus dem alten Stall der Nomenklatura und gilt als Interessenvertreter der mächtigen Lobby der staatlichen Industriedirektoren.

Diese Woche nun verfügte er mittels Dekret einen Preisstopp für Waren des Grundbedarfs. Die Preise für Brot, Milch, Fleisch, Kindernahrung, Butter und Fleisch sollen eingefroren werden. Ebenso die Preise für Zucker, Tee, Salz und natürlich Wodka. Der Schnaps unterlag in Rußland schon immer einer staatlichen Preiskontrolle. Bestimmte Rohstoffe sollen dem noch folgen. Ähnliche Maßnahmen kündigte er auch für den gesamten Transportsektor an. Am derzeitigen Preislevel aber soll sich durch den Erlaß nichts ändern; eine Senkung ist nicht vorgesehen.

Offenkundig zielt diese Maßnahme aber nicht auf den Einzelhandel ab, obwohl der Premier sich gleich zu Anfang abschätzig über den florierenden „Basarkapitalismus“ auf Moskaus Straßen geäußert hatte, der nichts mit Marktwirtschaft gemein hätte. Vielmehr sieht es so aus, als richte sich die Preisfixierung gegen die Interessen seiner eigenen Klientel, der „roten Direktoren“ der staatlichen Monopolindustrien. Die freie Preisgestaltung haben sie bisher genutzt, um einen größeren Reibach zu machen. Den Produktionsrückgang fingen sie durch überhöhte Preise auf.

Nun soll ihnen eine Profitmarge gesetzt werden. Maximal dürfen sie einen Aufpreis von 10 bis 25 Prozent des Herstellungspreises verlangen. Über die Gewinnspanne des Einzelhandels steht hingegen nichts in der Verfügung. Man hofft anscheinend, den derzeitigen Preisstandard stabilisieren zu können.

Der ehemalige Öl- und Gasminister bemühte sich sofort bei Amtsantritt, jeglichem Eindruck entgegenzutreten, unter seiner Ägide würde der eingeschlagene Reformkurs rückgängig gemacht. Statt dessen plädierte er für einen schonenderen Gang des wirtschaftlichen Umbaus. Die Pauperisierung weiter Teile der Bevölkerung sei ein zu hoher Preis für die Reformen, sagte er. Im Klartext hieße das: über kurz oder lang wird der bisher verfolgte monetaristische Kurs der Regierung Gaidar verlassen werden.

Tschernomyrdin machte keinen Hehl aus seinen Prioritäten. Es ist ihm ein Herzensanliegen, die daniederliegende Industrie wieder auf die Beine zu stellen. Im vergangenen Jahr sank der industrielle Output um 20 Prozent.

Es ist allerdings fraglich, ob der preispolitische Eingriff tatsächlich die Produktion ankurbelt. Die mafiotischen Strukturen des gigantischen Industriesektors machen auch andere Alternativen möglich. Um den Profitrückgang zu kompensieren, brauchen sich die Unternehmen nur ihrer alten, noch längst nicht vergessenen Praktiken zu erinnern: sie organisieren eine künstliche Verknappung und verschieben einen erheblichen Teil ihrer Produkte über den Schwarzmarkt oder über getarnte Bartergeschäfte.

Dem Erfindungsreichtum in diesem Bereich sind keine Grenzen gesteckt. Im Grunde genommen sind die Ausgangsbedingungen heute noch günstiger als unter der kommunistischen Kommandowirtschaft. Keiner schreibt ihnen mehr vor, wieviel sie auf jeden Fall produzieren müssen. Das Plansoll gehört der Geschichte an. Läuft die Entwicklung in diese Richtung, haben die einkommenschwachen Schichten, denen dieser Schritt Brot und Wodka sichern wollte, noch mehr das Nachsehen.

Flankiert Tschernomyrdin die „Preisgestaltung“ noch mit einer großzügigen Kreditpolitik an die maroden Staatsunternehmen, dürfen die Herren Direktoren, die Prototypen verantwortungsloser Versorgungsmentalität, getrost weiterschlafen. Nichts zwingt sie mehr, sich veränderten Bedingungen anzupassen.