Honecker: Letzte Tage in Moabit

Das Berliner Landgericht will in der kommenden Woche über die Haftentlassung des Ex-Staats- und Parteichefs entscheiden/ Das Totschlagsverfahren wurde abgetrennt  ■ Aus Berlin Matthias Geis

Der Prozeß gegen Erich Honecker steht kurz vor dem Ende. Nach dem gestrigen Beschluß der 27. Strafkammer des Berliner Landgerichtes, das Verfahren gegen Erich Honecker abzutrennen, darf als sicher gelten, daß der ehemalige Staatschef am kommenden Donnerstag zum letzten Mal den Gerichtssaal in Moabit betreten muß. Zuvor werden die medizinischen Sachverständigen dem Gericht ihr wohl letztes Gutachten zum Gesundheitszustand Honeckers erläutern. Selbst Oberstaatsanwalt Grossmann, der bislang immer von der Haft- und Verhandlungsfähigkeit Honeckers ausgegangen war, sprach gestern von der „entgültigen Entscheidung am kommenden Donnerstag“. Da aber der Abbruch des Verfahrens ohnehin programmiert ist, kann „entgültig“ nur zugunsten Honeckers heißen. Auch die Verteidigung wertete die gestrige Entscheidung als eindeutiges Signal für die bevorstehende Freilassung Honeckers.

Damit hat Richter Hans Boß an seinem ersten Verhandlungstag als neuer Vorsitzender, den Einstieg in den Ausstieg geschafft. Gleich zu Beginn der Verhandlung verkündete er den Beschluß, noch einmal ergänzende Gutachten zu Honeckers Gesundheitszustand einzuholen. Anders als unter Bräutigam in vergleichbaren früheren Situationen, war alles präzise vorbereitet und terminiert. Doch die Honecker-Verteidigung wollte sich nicht damit abfinden, daß ihr Mandant noch einmal, so Nicolas Becker, „zwei Tage Hauptverhandlungsshow“ über sich ergehen lassen sollte, um auf die programmierte Einstellungsentscheidung zu warten. „Es gibt hier niemanden mehr, der nicht weiß, daß das Verfahren abgebrochen werden wird“ formulierte Becker seinen Unmut und schob auch gleich noch den Grund für die von Gericht und Staatsanwaltschaft beanspruchte Schamfrist nach: „Es geht hier nur noch um eine einzige Frage: wer hier wie sein Gesicht wahren wird.“

Die Sache liegt ziemlich klar und ist zudem für das Gericht nicht sonderlich schmeichelhaft: Am 21.12 hatten sich die Richter, unterstützt von Staatsanwaltschaft und Nebenklage für die Fortsetzung des Verfahrens ausgesprochen. Mit einer anderslautenden Entscheidung schon am gestrigen 13. Verhandlungstag, also ohne neue gutachterliche Grundlage, hätte das Gericht zumindest implizit eingestanden, daß es am 21.12. Falsch entschieden hätte. Bereits das Berliner Kammergericht hatte das in seiner Entscheidung vom 28.12. Nahegelegt. Mit den neuerlichen Gutachten will sich das Gericht jetzt die „goldene Brücke“ (Becker) bauen: „Sie wollen sagen können: es gab am 21,12. Einen Unsicherheitsfaktor, der die Entscheidung rechtfertigte, erläutert Becker das Kalkül des Gerichts und der Staatsanwaltschaft. Die hatten der Argumentation der Verteidigung für ein noch schnelleres Ende denn auch wenig entgegenzusetzen. „Ich verstehe die Position der Verteidigung vollkommen“, formulierte Richter Boß zwischendurch.

Auch die Staatsanwaltschaft kam irgendwie nicht umhin, zuzustimmen. Das Verfahren, so Staatsanwalt Großmann, „wird zu Ende gehen“, nur sei man sich eben doch “noch nicht ganz sicher , was eine neuerliche Begutachtung und eine Woche Aufschub notwendig mache. Aber am kommenden Donnerstag, werde dann „abschließend berichtet“. Ganz wollte sich das Gericht der überzeugenden Argumentation der Verteidigung dann doch nicht verschließen. Zwar bleibt der Entscheidungstermin 14. Januar; doch die Abtrennung vom Sammelverfahren bedeutet, daß Honecker am Montag, wenn gegen seine bisherigen Mitangeklagten weiterverhandelt wird, schon nicht mehr erscheinen muß.

Selbst Nebenklagevertreter Hanns-Ekkehart Plöger, der bislang die Position verterten hatte, jeder Tag Haft für Honecker, bedeute einen Gewinn fü den Rechtsstaat, gab sich gestern selten zugänglich: Man werde „die Frage der Haftentlassung oder Einstellung überdenken“. Freilich seien für das in Gang setzen dieses Denkprozesses „zweifelsfreie Prognosen“ notwendig.

Die lieferte unterdessen der Leiter des Haftkrankenhauses Raiener Rex. In einem zweiseitigen Brief führte er aus, bei Erich Honecker deuteten alle Symptome darauf hin, „daß das Geschwulstleiden nunmehr in eine Phase eingetreten ist, die den Allgemeinzustand des kranken Organismus zunehmend beherrschen wird“. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit würden „in nächster Zukunft“ Entkräftung, Auszehrung und steigende Schmerzen die „Etappen auf dem Weg zum Tod“ Honeckers markieren.