Reagiert wird erst, wenn die Katastrophe da ist

■ Ein Gespräch mit Helmut Hildebrandt, Gesundheitsexperte der GAL

INTERVIEW

Reagiert wird erst, wenn die Katastrophe da ist Ein Gespräch mit

Helmut Hildebrandt, Gesundheitsexperte der GAL

Macht Hamburg krank?

Nicht die Stadt macht krank, sondern die Organisation der Stadt. Die Bürokratie demütigt durch ihre Art des Umgangs mit Antragstellern besonders die sozial Benachteiligten. Kränkungen machen krank. Die Organisation der Stadt macht auch krank, indem sie auf bekanntgewordene Gesundheitsgefahren nicht adäquat und schnell reagiert. Gefahren wie zum Beispiel

1Elektrosmog werden verdrängt, Informationen zurückgehalten. Das Problem wird zunächst einmal geleugnet, dann werden wissenschaftlich kontroverse Positionen diskutiert. Reagiert wird erst, wenn die Katastrophe da ist. So wird Krankheit verlängert. Auch das Problem Perchlorethylen (PER) aus chemischen Reinigungen ist ein Beispiel. Engagierte Bürger müssen die Gesundheitsgefahr gegen viele Widerstände aufdecken und können sie nur zum Thema machen, indem sie einen Skandal daraus machen. Das wiederum erzeugt Angst. Auch die Verunsicherung über Gesundheitsgefahren und das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht machen krank.

Was sind auf einer „Negativ-Hitliste“ die schlimmsten Krankmacher in Hamburg?

Zuallererst die Arbeitsbedingungen, die Kränkungen und Erkrankungen hervorrufen. Sie wurden bislang vernachlässigt in der Diskussion oder es wurde rein medizinisch an die daraus erwachsenden Symptome herangegangen. Ein Großteil der Gesundheitsprobleme im modernen Dienstleistungssektor resultieren daraus, wie Vorgesetzte ihre Mitarbeiter behandeln. Viele Vorgesetzte sind nicht fit in zeitgemäßer Mitarbeiterführung und Arbeitsorganisation. Ihre Untergebenen können weder ihre Kreativität ausleben noch der Arbeit ihren eigenen Stempel aufdrücken. Daraus resultiert psychische Kränkung, die auch krank machen kann. Negativer Streß bei der Arbeit kann sogar Infekte auslösen. Das Immunsystem leidet darunter, man wird anfälliger für Viren. Gesundheit hängt im übrigen auch davon ab, welche Wertschätzung ich mir selbst entgegenbringe oder von anderen erfahre. Nur wer eine positive Einstellung zu sich hat, bleibt auf Dauer relativ gesund.

An die zweite Stelle der Krankmacher würde ich die Kultur des Umgangs der Menschen untereinander in Hamburg setzen. Der Psychologe Peter Riedel hat dafür eine treffende Charakterisierung gefunden: „Hamburg antwortet nicht“. Es gibt in dieser Stadt große Schwierigkeiten, Begegnungen herzustellen, das ist durchaus ein typisch hamburgisches Phänomen. Ich habe noch nie soviel Schweigen erlebt wie in den Hamburger Verkehrsmitteln.

Macht nicht auch der Autoverkehr krank?

In der öffentlichen Meinung rangiert der Verkehr als krankmachender Faktor ganz oben. Da werden immer zuerst die Abgase genannt. Ich meine, daß in Hamburg auf Grund seiner günstigen Windlage die Luftbelastung weniger schlimm ist als in anderen Städten. Aber der Autoverkehr hat vielfältige Wirkungen und ist auch kommunikationsbehindernd. Jeder sitzt einzeln in seinem Auto, der Straßenraum ist für Fußgänger unattraktiv. Dazu kommen Unfälle und die Angst, in der Kinder stetig leben, wenn sie sich im Verkehr bewegen. Die Fragen stellte Vera Stadie