Sanssouci
: Vorschlag

■ Schuhe, Schuhe, Schuhe Designobjekte und Fotos in der HdK

An ihren Schuhen kann man sie erkennen: jede Zeit und jede Szene hat ihr eigenes Laufwerkzeug. Denn der Schutz gegen rostige Nägel, spitze Steine, heißen Sand oder kalte Kacheln ist lediglich die funktionale Seite, die bei der Wahl des Traummodells noch lange keine Rolle spielen muß. Schon der mittelalterliche Schnabelschuh zeigte erheblichen Formwillen und eine gewisse Funktionsunlust. Der Weg bis zur zeitgenössischen Birkenstocksandale und dem klassischen Budapester ist lang und voller orthopädischer Zumutungen und Absatz-Schwankungen. Das Credo der modernen Ding-Gestaltung lautet bekanntermaßen form follows function, doch bevor angehende Designer ihre Prototypen in Serie geben dürfen, müssen sie sich an der Umkehrung dieses Leitsatzes zu Ausbildungszwecken abarbeiten, besser noch: ihn völlig vergessen.

Die Ergebnisse einer solchen Ver- und Entfremdungsarbeit an einem alltäglichen Gegenstand kann man derzeit in der HdK besichtigen. Objekte, Fotoarbeiten und Siebdrucke aus ganz unterschiedlichen Entstehungszusammenhängen des Sommersemesters 1992 wurden zu einer kleinen Reflexion über den Schuh zusammengestellt.

Die sechs Arbeiten aus der Siebdruckwerkstatt Coco Zausch könnten die Werbeplakate zur Ausstellung sein. Verschiedene Schuhmodelle, gekippt, gedreht und aneinandergelehnt, ordnen sich zu einem geheimnisvollen Alphabet der Schuhe. Ein Plakat erinnert an eine gotische Handschrift, auf einem anderen glaubt man hebräische Buchstaben zu erkennen, ein drittes wirkt durch warholsche Farben wie eine amerikanische Hamburger-Reklame. Und nie hätte ich vermutet, daß ein hochhackiger Pop- Pump so gut mit einer komplizierten Frakturschrift harmonieren könnte.

Die Schuhwerke in den Vitrinen verdanken sich zwei verschiedenen Herstellungsmethoden: entweder der Verfremdung bereits fertiger Modelle oder der Neuanfertigung aus erwartungsgemäß nicht ganz naheliegenden Materialien. Ein bißchen eklig der „Tanzschuh der Baba Jaga“ von Ulla Baur, sein Absatz ist ein Hühnerfuß. Die breite Spiralfeder ihres „Rostschuhs“ und der subtile „Handschuhslipper“ leuchten dagegen unmittelbar ein. Gleichzeitig ist sie auch die Erfinderin des garantiert unbegehbaren Schuhs, zwei ineinandergestülpten Pumps, die durch einen übergezogenen Strumpf wie aus einem Guß wirken. Siebdruckerin Coco Zausch setzt zunächst auf Gegensätze: ihr Modell von einiger Klobigkeit fertigt sie aus feinstem Lochdraht; ein Schuh aus Gobelinstoff, mit Silberlitzen und golddurchwirkten Fransen paßt aber wieder prima zum Wohnzimmersofa.

Petra Darimont ist die Schöpferin von „Daphne“, einem filigranen Gebilde aus Vliesstoff und Blattgerippen. Ihr Modell „Work in Progress“ könnte genausogut ein „Work of Destruction“ sein. Unentschieden dagegen scheint Silja Schacht: ihr ist der prächtigste Tanzschuh der Ausstellung zu verdanken, bestehend aus Vogelfedern, dessen an der Ferse verankertes Bukett langstieliger Fasananfedern zwar sicherlich die Waden wärmt, aber walzerfeindlich in den Kniekehlen kitzelt. Julia Todrow setzt eine ironische Pantolette dagegen: den gemeinen Holzklepper, verziert mit Straußenfeder- und Exotenlederimitaten, ein insgesamt seltsam verstrubbeltes Teil. Mein Lieblingsmodell sind jedoch die Stiefel aus Teppichbodenresten, die ein Achtklässler der Kreuzberger Kiez-Schule während eines Unterrichtspraktikums einer der Studentinnen liebevoll zusammenklebte.

Die Fotoarbeiten sind Reminiszenszen: an die ersten Schuhe, an die Hochzeitsschuhe der Mutter und an die neue Klobigkeit. Und natürlich an Aschenputtel. Der namenlose Fotoroman, in dem nur Beine und Füße mitspielen, läßt an Drastik jedenfalls nichts zu wünschen übrig. Sie erinnern sich doch: Messer! Ferse ab! und so? Dann doch lieber function. Barbara Häusler

Kleine Reflexion über den Schuh. In der Hochschule der Künste, Lietzenburger Straße 45, 1. Stock, Mo.–Sa. 9–20 Uhr. Noch bis zum 29. Januar