Zu Warhol wie die Jungfrau zum Kinde

Als Dichter weitgehend ignoriert, als Zeuge der besten Jahre der „Factory“ äußerst begehrt: Gerald Malanga lehrte Warhol den Siebdruck und schwang für den Meister die siebenschwänzige Peitsche. Ein Interview  ■ Von Tilman Baumgärtel

Eigentlich, so hatte Gerald Malanga sich das vorgestellt, wollte er nur für ein paar Tage nach Europa kommen, um seine erste Foto-Ausstellung in Europa bei der Pariser Galerie Jacques Donguy zu eröffnen. Und plötzlich wird er in Frankreich, Holland und Deutschland rumgereicht wie der große Künstler, für den eigentlich nur er sich schon immer gehalten hat: „Libération“, „Best Magazin“, das französische Staatsradio, der italienische TV-Sender RAI und die taz bitten um Interviews, und aus ein paar Tagen werden drei Monate in Europa.

Leider interessieren die meisten Journalisten weniger Malangas Fotografien oder die 25 Gedichtbände, die er seit 1970 veröffentlicht hat, sondern eher seine illustre Vergangenheit. Der heute 49jährige war 1963 mit zwanzig Jahren für 1 Dollar und 50 Cent pro Stunde Andy Warhols erster Assistent geworden und hat so die wilden Zeiten in der Factory, Warhols Atelier/ Filmstudio/Büro/Partykeller, miterlebt.

Sieben Jahre lang diente Malanga Andy Warhol als Mädchen für alles, mußte – schön wie ein junger Gott – mit siebenschwänziger Peitsche durch Warhols Filme tänzeln und nachher die Einladungen für die Premieren verschicken. Nach seinem Abschied von Warhol 1970 wurde er Archivar und arbeitete als Fotograf. Seine Gedichtbände sind zum Teil bei Black Sparrow, dem amerikanischen Verlag von Joe Fante und Charles Bukowski, erschienen. Zwei sind auch auf deutsch bei Expanded Media herausgekommen: „Selbstportrait eines Dichters“ (1970) und „Licht – Light“ (1973). Außerdem hat er zusammen mit Victor Bockris das Buch „Uptight“ über Velvet Underground geschrieben.

Malanga wohnt heute in Great Barrington, einem 6.000-Seelen- Nest in Massachusetts. Um einen deutschen Verleger für seine Memoiren „Memory-in-process“ zu finden, war er von Paris nach Deutschland gekommen. Die taz interviewte ihn bei einer Lesung in Neuss, bei der auch Malangas Film „In Search of the Immaculate“ von 1967 lief.

taz: Was denkst du, wenn du heute diese Filme siehst?

Malanga: Es kommt mir vor, als ob mein Leben ohne mich existieren würde, als würde ich hier nur meinen eigenen Mythos repräsentieren.

Wie bist du eigentlich in die Factory gekommen?

Ich bin zu Warhol gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Ich war noch im College und suchte nach einem Ferienjob, und ein gemeinsamer Bekannter wußte, daß ich schon während meiner Schulzeit in den Sommerferien mal für einen Textildesigner gearbeitet und deshalb siebdrucken konnte. Das war der Grund, warum ich Andys Assistent wurde, weil ich schon einige Erfahrung mit Siebdrucken hatte, was der erst lernte. So wie zwei Kinder, die sich gegenseitig neue Tricks beibringen.

Ich sollte eigentlich im Herbst wieder auf die Uni gehen. Wir hatten aber gerade ein paar Marilyns und einige Bilder der „Death and Desasters“-Serie fertig gemacht und sollten die im September in Los Angeles ausstellen. Warhol wollte mit einigen Freunden auf eine Reise cross-country gehen und lud mich ein mitzukommen. Ich mußte mich entscheiden, ob ich wieder an die Uni wollte, oder ob ich diese Reise machen wollte. Ich bin niemals zurück zur Uni gegangen.

Sondern?

Ich habe von 1963 bis 1970 für Warhol gearbeitet, mit einer Pause von September 1967 bis Februar 1968. Das hatte zwei Gründe: Erstens war ich mit meinem Film „In Search of the Immaculate“ zum Filmfestival in Bergamo eingeladen. Außerdem habe ich versucht, eine Freundin wiederzufinden, die in Italien abgetaucht war. Andy hatte versprochen, mir den Rückflug zu bezahlen, aber als ich ihn dann aus Italien anzurufen versuchte, war er plötzlich nicht mehr ans Telefon zu bekommen, und so saß ich dort sechs Monate fest.

1970 habe ich die Factory endgültig verlassen. Andy habe ich nur noch gelegentlich gesehen, und wir haben eher Abstand gehalten.

Warhol ist mit den Siebdrucken, an denen du mitgearbeitet hast, weltberühmt geworden, du nicht ...

Ja, aber ich bin deswegen nicht verbittert. Ich habe an seiner Kunst mit gearbeitet, es war keine Kollaboration. Unsere einzige ernsthafte und bewußte Zusammenarbeit waren die Screen-Test- Filme, wo wir über dreihundert Leute jeweils für drei Minuten abgefilmt haben. Das war eine Art Parodie auf die Screen Tests in Hollywood, die allerdings viel kürzer sind. Standfotos aus diesen Filmen haben wir später auch als Buch herausgegeben. Ansonsten habe ich lediglich mein Wissen, meine Erfahrungen und meine Zeit seiner Kunst gewidmet. Andy war sehr flexibel und es machte mir Spaß, mit ihm zu arbeiten, weil er offen für Vorschläge war. Ich habe immer wieder Motive für Bilder vorgeschlagen oder gesagt, „Warum drucken wir die Bilder von Elvis nicht so, daß sich die Beine überlagern?“, und wenn ihm die Idee gefiel, machten wir das.

Es heißt, daß du eine wichtige Rolle dabei gespielt hast, bestimmte Leute in die Factory einzuschleusen...

Ja, ich hatte bessere Antennen als Andy für Leute meines Alters, und habe einige Leute in die Factory mitgebracht: International Velvet, Nico, Velvet Underground, Paul Morrissey und so weiter... Die eigentlichen Factory- Jahre dauerten eigentlich nur zweieinhalb Jahre, vom November 1964, als wir in die Silver Factory zogen, bis November 1967.

Also die Zeit, in der Warhol nicht gemalt hat, sondern nur noch Filme dreht...

Das hat er erzählt, aber das stimmte nie. Wir haben immer gemalt. Andy verleugnete sich oft. Er las zum Beispiel sehr gerne, aber er hat behauptet, daß er noch nie ein Buch gelesen hätte, weil er das für ein interessantes Statement hielt.

Die spektakulärste Aktivität deiner Factory-Zeit waren sicher die Auftritte mit Velvet Underground, wo du mit Peitschen und anderen S/M-Fetischen rumgetanzt bist.

Am Anfang habe ich eigentlich nur aus Spaß mitgetanzt, aber mit der Zeit habe ich dann eine Choreographie entwickelt, zu bestimmten Stücken auf bestimmte Weise getanzt und Requisiten benutzt. Diese Mixed-Media-Shows mit der Musik von Velvet Underground, der Lightshow von Paul Morrissey und uns Tänzern muß für das Publikum sehr intensiv gewesen sein. Leute, die damals „The Exploding Plastic Inevitable“ gesehen haben, schwören heute noch Stein und Bein, daß ich mir bei dem Song „Heroin“ tatsächlich einen Schuß gesetzt hätte, dabei habe ich da nur mit einem Kuli rumgespielt.

Hat Warhol die Musik von Velvet Underground eigentlich gefallen? Immerhin war er damals schon Ende Dreißig.

Doch, doch, in der Factory mochte sie jeder außer Paul Morrissey, der Lou Reed wegen seiner ewigen Drogengeschichten haßte.

Ihr habt ja zu „summer of love“- Zeiten auch in San Francisco gespielt, seid aber wohl nicht besonders gut angekommen?

An der Westküste sind wir zuerst in Los Angeles in einem Club namens „The Trip“ aufgetreten. Unter den Zuschauern war damals auch Jim Morrison, und es ist später wiederholt geschrieben worden, daß er meinen Look, meinen Haarschnitt und mein Auftreten kopiert hat. Als Vorgruppe spielten die Mothers of Invention, die zur selben Zeit wie die Velvets einen Vertrag mit der Plattenfirma Verve unterschrieben hatten. Lou Reed haßte Frank Zappa, weil die viel mehr Publicity und Presse als wir bekamen. Dann stellte sich auch noch heraus, daß die Besitzer vom „Trip“ sich gegenseitig betrogen hatten, und die Stadtverwaltung ließ den ganzen Laden schließen. Wir wurden natürlich nicht bezahlt, und so saßen wir in Los Angeles rum und warteten auf unser Geld, denn die Velvets waren alle in der Gewerkschaft und durften den Bundesstaat [Kalifornien] nicht verlassen. Da kam Lou Grant vom Fillmore West in San Francisco nach Los Angeles und heuerte uns für ein paar Auftritte an. Grant konnte Velvet Underground nicht ausstehen, wir waren so was ähnliches wie der Teufel für ihn. Aber er wollte Velvet Underground als Vorgruppe für seine Hausband Jefferson Airplane, weil er dachte, daß seine Band Publicity wie die der Velvets brauchen könnte. Dann wurde ich nach unserem zweiten Auftritt in San Francisco verhaftet, und zwar wegen „Waffenbesitzes“, weil ich meine Peitsche in einer Caféteria auf einen Stuhl gelegt hatte. Das haben zwei Polizisten gesehen und mich sofoft hopsgenommen. Es war ein kompletter Alptraum, diese ganze Reise.

In Oliver Stones Film über die Doors kommt ja auch ein Treffen zwischen Jim Morrison und Warhol vor...

Hör mir bloß mit diesem Film auf! Das ist völlige Geschichtsklitterung. So ein Typ wie Oliver Stone wäre damals in keinen vernünftigen Club reingekommen, und jetzt dreht er Filme über diese Zeit!

Und wer ist der nächste Warhol?

Na, wer wohl? Ich war gerade bei einer Jeff-Koons-Ausstellung in Holland, und das ist doch ein ziemlich schweres Geschütz. Es gibt Aspekte an Kitsch, die ich mag, aber ich würde es nicht per se zur Kunst erheben. Dann könnte man gleich alle Museen schließen...

Dabei hat Warhol doch gesagt, daß man, wenn man heute ein Kaufhaus schließt und in zwanzig Jahren wieder öffnet, ein Museum der Modernen Kunst des Zwanzigsten Jahrhunderts hätte...

Andy war eher ein Voyeur, Koons ist ein Exhibitionist und zusätzlich sein eloquentester Kritiker. Mich stört aber gar nicht, daß Jeff Koons sich selbst so ernst nimmt, was mich stört ist, daß ihn die Kunstwelt so ernst nimmt, ganz im Gegenteil zu Andy, der am Anfang von niemand für voll genommen wurde. Auch wenn er seine Aura immer sehr effektiv einsetzte und es verstanden hat, das Interesse der Medien auf sich zu ziehen, kann seine Kunst – anders als die von Koons – auch für sich selbst bestehen. Seine Bilder sind einfach wunderschön.

In Deutschland hat es ja, besonders in den späten sechziger Jahren, diese Tendenz gegeben, Warhol als einen Kritiker des Konsums, der Oberflächlichkeit, der Warenwelt, die er portraitierte, zu sehen. Besonders dieses Buch von Rainer Crone geht ja in diese Richtung...

Rainers Buch war das erste, aber sicher nicht das letzte über Andy. Ich hab's gerne gelesen und ihm auch bei der Recherche geholfen. Aber das stimmt so sicher nicht: Andy mochte wirklich Filmstars, er mochte hübsche Bilder. Er wollte das nicht feiern, sondern einfach nur sich selbst befriedigen, indem er schöne Bilder malte.

„Star gazer“ von Stephen Koch ist ein ziemlich gutes Buch über Andy. Bob Collacellos Buch ist ein sehr gutes und witziges Buch, ich hab' mich totgelacht. Bob zeigte eine Seite von Andy, die ich nicht kannte, weil Andy in den siebziger Jahren viel extrovertierter war. Dieses Buch von Ultraviolet ist dagegen reine Desinformation, nur ich, ich, ich. Man fragt sich, wieso sie sich nicht gleich in Andy's Grab geworfen hat.

Du hast vorhin Warhols Aura erwähnt...

Andy war wie ein kleiner Junge, und Erwachsene geben Kindern gerne Geschenke. Leute in seinem Alter oder sogar Leute, die jünger waren als er, haben ihm einfach gerne gegeben und sich von ihm angezogen gefühlt, obwohl er eigentlich ziemlich merkwürdig aussah. Anfang der siebziger Jahre, als er anfing, diese Portraitaufträge zu übernehmen, änderte sich sein ganzes Benehmen, sein Verhältnis zu Macht und Geld. Dadurch hat auch seine Kunst gelitten. Er wollte bloß noch die Leute zufriedenstellen, die er malte. Und er wurde faul.

Und in den achtziger Jahren, als eine neue Generation von Künstlern in New York Einzug hielten, fand ich es ziemlich peinlich, wie er mit Leuten wie Jean-Michel Basquiat oder Keith Haring kollaborierte. Die waren selbst begabt und kreativ genug und brauchten ihn gar nicht. Wenn man sich die Arbeiten von Basquiat und Andy anguckt, ist der bessere Teil immer der von Basquiat. Für meine Begriffe war das auch nur ein Schachzug, um sich wieder ins Gespräch zu bringen. Genauso diese Fernsehprojekte: So was Oberflächliches. Wen interessiert schon, was Elizabeth Taylor zu sagen hat?

Am schlimmsten zeigte sich das bei seiner Beerdigung, als diese ganzen Leute ankamen und davon redeten, was für ein großer Künstler er gewesen war. Worüber haben die sich denn unterhalten, wenn sei zusammen waren? Wohl kaum über Proust! Oder sonst irgendwas Interessantes oder Substantielles...

Siehe die Warhol-Tagebücher...

Ja, das ist ein riesiger Hype. Ich habe nur die Seiten gelesen, auf denen ich vorkam, dann hatte ich genug. „From A to B and back again“ war ein großartiges Buch, auch „Popism“, aber die Tagebücher sind nur flach.

Eigentlich komisch, daß du mit Leuten wie Warhol oder Lou Reed zusammengearbeitet hast, die später Millionäre geworden sind, und du nicht...

Naja, unsere Kultur ist eben so ausgerichtet, daß in ihr eher ein Rock'n'Roll-Sänger oder ein Popkünstler berühmt wird als ein Dichter. Deswegen würde ich aber niemals mit dem aufhören, was ich jetzt tue, um berühmt zu werden...

...für fünfzehn Minuten...

Genau, meine Zeit wird kommen. Und hoffentlich kann ich mich bis dahin so einigermaßen über Wasser halten, meine Rechnungen bezahlen und so weiter.