Der Himmel über Flamen

■ Franz Schrekers Oper „Der Schmied von Gent“ in Bielefeld

Turbulenz im Himmelsregiment: nach Wiederherstellung paradiesischer Ordnung wollen auch einmal Engel ein Tänzchen auf die Wolke legen. Umgehend fordert Gottvater strenge Sittsamkeit ein und erlegt dem Sünder-Trio zur körperlichen Züchtigung eine Staffel von zehn Liegestützen auf. Doch bis zu diesem furios-klamaukhaften Finale hat der Erdenmensch noch den anstrengenden Weg durch die Hölle vor sich.

Nach der Uraufführung 1932 und der Inszenierung von Erhard Fischer an der Ostberliner Staatsoper 50 Jahre später verging ein Dezennium, bis Franz Schrekers Opernrarität „Der Schmied von Gent“ wieder den Weg ins Opernhaus fand. Und wieder ist es das Bielefelder unter der Regie John Dews, das sich mit der dritten Produktion nach „Spielwerk“ und „Der singende Teufel“ zu einer kleinen Schreker-Hochburg gemausert hat.

Der Wiener und Wahl-Berliner (Schreker war Musikhochschul- Direktor) erkannte die braunen Zeichen der Zeit und wählte für seine neue Oper einen Stoff des belgischen „Ulenspiegel“-Dichters Charles de Coster, ein literarisches Breughel-Tableau, dessen Märchenwelt mit subversivem Symbolgehalt gespickt ist und umgehend die Nazis auf den Plan rief. Was man heute „Zivilcourage“ nennt, praktiziert der Schmied Smee im mittelalterlichen Flamen. Sein Nonkonformismus gegenüber den spanischen Besetzern treibt ihn in die Mühlen der Denunziation und Korruption, und er rettet sich in seinem Elend nur durch einen Teufelspakt. Als nach sieben Jahren Wohlstand der Abstieg in die Hölle droht, schlägt er den Abgesandten des Teufels ein Schnippchen und tritt verdientermaßen vor die Himmelspforte. Mit Hilfe des Juden Josef, der auf Erden Meister Smees Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft erfahren hat, verschafft sich Smee den Einlaß ins Paradies.

Wen wundert's, daß bei der Erstaufführung am 29.Oktober 1932 Nazitruppen für einen handfesten Skandal sorgten. Während im Zuschauerraum „Jude raus“ skandiert wurde, schmiß der Intendant Carl Ebert eigenhändig Dutzende von krakeelenden Randalierern aus dem Musentempel. Nach drei Vorstellungen fiel der Vorhang endgültig, die Oper verschwand vom Spielplan, „Halbjude“ Schreker wurde seiner Posten enthoben und starb zwei Jahre später – den Teufel im Rücken.

Ist angesichts der musealen Verbannung „Der Schmied von Gent“ überhaupt ein gleichwertiges Zeitstück zu den Weills, Hindemiths oder Hartmanns, zu „Dreigroschenoper“, „Cardillac“ oder „Wachsfigurenkabinett“? Auf den ersten Blick herrscht ordentliche Musikalität des Neoklassizismus und ein Eklektizismus, der aber seine Ecken und Kanten hat. Eine „Volksoper“ wollte Schreker schreiben, und hier und da exhumiert er die Bier-und-Brezel-Seligkeit der Lortzings und Humperdincks. Aber Schreker wäre kein Schmäh-Wiener, würde er nicht zum ironischen Schlag gegen den gutbürgerlichen Strauss- und Wagner-Geschmack ausholen. Die süß-sauren Duette von Smee und seiner Frau kulminieren in gepfeffertem Bombast, die Violinen jammern im Dreiviertel- Takt.

Die Weillsche Hitfabrik wird plagiiert, die Gesellen stimmen mit „Funken stieben, Eisen dröhnen, gut geschmiedet Eisen hilft gegen Kugeln“ ein strammes Arbeiterlied an und lassen die Erinnerung an den Moritatensänger Ernst Busch auferstehen. Schrekers Stilpalette hat Facetten und wagt sogar den Schritt zur Lautmalerei. Wenn Meister Smee ein Teufelchen im Pflaumenbaum festsetzt, freut er sich diebisch nach bester Verismo-Farbigkiet à la Puccinis „Gianni Schicchi“, während der Geleimte mit unendlich langgedehnten Arpeggios seinem Zustand Ausdruck verleiht. Das Paradies kommt mit Pauken und Trompeten daher und nimmt die monumentale Leinwandpräsenz eines „Kampf um Rom“ vorweg. Jede Note, jede Phrase, jedes Motiv hat semantischen Sinn.

Ein Spiel im Spiel, das der Regisseur John Dew weiterspielt. Wörtlicher als wörtlich nimmt er die Phantasiegestalten und macht dem Märchen Beine. Petrus ist ein Türsteher im Wach- und Schließ- Dress, mit zwei neongrünen Schlüsseln unter dem Arm, die Teufel übergroße Gummibärchen in grell-orange, und auch Himmel und Hölle werden in der Form präsentiert, wie man sie sich schon immer vorgestellt hat: überirdisch dominiert strahlendes Hellblau, unten hingegen tiefes Rot. Dew jongliert mit Kategorien und inszeniert ironisch-plakativ die simplen Ordnungsmuster Gut und Böse, Schwarz und Weiß.

Meister Smee ist in dem Wertesystem das Individuum, das anarchistisch das Diesseits und Jenseits aus den Angeln hebt. Als Titelfigur wagt es der kraftvoll-schelmische Bariton Erling Onsager nicht nur, nicht mit den Kolonialisten, sondern eher mit dem Teufel zu paktieren, um sich hernach selbstverständlich in die Warteschlange vor dem Himmelstor einzureihen und lautstark eine Vesper anzustimmen.

Dirigent Rainer Koch und das Philharmonische Orchester Bielefeld sind mit sicherem Gespür für die musikalische Zitatcollage kompetente Begleiter, obwohl die Musik nicht gerade von eigenständiger Größe zeugt. Dafür ist die intelligente Inszenierung von entwaffnender Einfachheit, in der auch die Engel aus ihrer Rolle fallen dürfen. Warum auch nicht.

Guido Fischer

„Der Schmied von Gent“. Große Zauberoper in drei Akten nach Charles de Coster von Franz Schreker. Regie: John Dew. Bühnenbild: Thomas Gruber. Kostüme: Wolfgang Kalk. Musikalische Leitung: Rainer Koch. Weitere Aufführungen am 10., 24. und 30.Januar